Nachlese zur Räumung der Stadtstraße
KA-Präsident Reinhard Bödenauer und Generalsekretär Christoph Watz erklären die Hintergründe und erläutern welche demokratiepolitische Sorge die KA diesbezüglich bewegt.
Wir verstehen, dass es irritiert, dass sich die Katholische Aktion Wien mit so drastischen Formulierungen solidarisch hinter die Klimaschutz-Bewegung stellt.
Wir möchten Ihnen erläutern, warum wir dies tun:
In der Katholischen Aktion befassen wir uns seit Jahrzehnten mit der Frage des Klimaschutzes. Spätestens seit der ersten Klimakonferenz in Rio de Janeiro 1992 (!) haben wir beobachtet, dass zwar sehr viele Ziele und Absichtserklärungen verabschiedet wurden, aber im alltäglichen Verhalten in der Gesellschaft, in der Politik und der Gesetzgebung waren keine messbaren Fortschritte erkennbar. (Als plakatives Beispiel wird immer wieder besonders auf den Verkehrsbereich in Österreich hingewiesen, wo statt einer Reduktion - im Vergleich zu 1990 - sogar eine Steigerung der Emissionen von ca. 75% zu sehen ist - und wo wir im EU-Vergleich im Pro-Kopf-CO2-Ausstoß im Kfz-Verkehr leider im Spitzenbereich liegen. Bei Verfehlung der Klimaziele, drohen laut Rechnungshof Kosten von bis zu neun Milliarden Euro bis zum Jahr 2030.)
Papst Franziskus hat zu Pfingsten 2015 die Umwelt- und Sozial-Enzyklika "Laudato Si" veröffentlicht. (Dies geschah wenige Monate vor der Weltklimakonferenz in Paris und – vielleicht noch wichtiger – vor der UN-Konferenz in New York im September 2015, wo die Staatengemeinschaft einen umfassenden Katalog von Zielen („Sustainable Development Goals“) für eine nachhaltige Entwicklung bis 2030 verabschiedet hatte.)
Papst Franziskus machte den wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu Klima- und Umweltfragen zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen und forderte die gesamte Menschheit zum gemeinsamen, zum dringenden Handeln auf!
Und seit 3 Jahren gibt es eine neue globale Jugendbewegung. Fridays for Future organisiert wöchentlich friedliche Kundgebungen. Mindestens zweimal im Jahr werden weltweit Kundgebungen organisiert, wo auch in Österreichs Landeshauptstädten zigtausende Menschen auf die Straßen gehen - beeindruckend organisiert, ohne Ausschreitungen. (Sogar die Müllentsorgung wird von den VeranstalterInnen selbst organisiert, was wir von keiner anderen Demonstrationsbewegung sonst gekannt haben.) Ebenso herrscht ein verpflichtender Aktionskonsens, der zu Gewaltfreiheit verpflichtet. Das gilt auch für Organisationen wie Extinction Rebellion.
Unsere Jugendorganisationen (Katholische Jugend, Kath. Jungschar, Kath. Hochschuljugend), aber auch viele weitere kirchliche Organisationen bis hin zu Bischöfen haben diese gewaltfreien Kundgebungen unterstützt und wir sind im engen Kontakt und regen Austausch mit vielen jungen Leuten aus diesen Kreisen.
Die jungen Menschen haben ein klares Kernanliegen: "Hört auf die Wissenschaft!"
Und das ist auch das, was wir uns von der Stadtregierung im konkreten Fall erwarten.
Die Politik muss unter Einbeziehung der aktuellen Erkenntnisse und internationalen Erfahrungen der Verkehrswissenschaft (und Raumplanung) eine Neubewertung von großen Investitions- und Infrastrukturprojekten veranlassen.
Natürlich ist im konkreten Fall die Reduktion der Verkehrsbelastung der Bevölkerung in der Donaustadt ein vordringliches Ziel. Uns geht es ja nicht um ein Blockieren und Verhindern, sondern um moderne, zukunftsfähige Lösungen, die die Lebensqualität der Menschen im Einklang mit der Natur im Blick haben. Die SPÖ-Wien hat sich selbst zum Ziel gesetzt, dass die CO2-Emissionen des Verkehrssektors bis 2030 um 50 %, weniger werden sollen. D.h. natürlich, dass man bei allen Investitionen und Infrastrukturprojekten die Frage stellen muss, ob sie dieser Zielerreichung beitragen.
Deshalb werden wir uns weiter dafür einsetzen, dass sich Vertreterinnen der Politik, der Klimaschutz-Bewegungen, Betroffene und Verkehrswissenschaft auf Dialogprozesse einlassen, weil wir der Meinung sind, dass es bessere Lösungen geben kann und muss. (Eine solche Dialogveranstaltungen haben wir beispielsweise am 31. Jänner im Otto-Mauer-Zentrum organisiert.)
Wir finden eine Einbeziehung der jungen Menschen, die sich für eine klimagerechte Zukunft einsetzen, auch demokratiepolitisch so wichtig, weil wir deren Potential nützen sollten und mit ihnen zusammen an unserer lebensfreundlichen Zukunft für die Stadt Wien zu bauen.
Wir finden fatal, dass in den letzten 3 Jahre, aber vor allem in den letzten 5 Monaten, in der sich der Konflikt zugespitzt hat, die Politik und Stadtverwaltung es nicht geschafft haben, deeskalierende Maßnahmen zu setzen.
Es wird weiter zu Protesten kommen und die Politik muss sich überlegen, ob sie mit jungen Menschen, die sich politisch engagieren und sich für die Umwelt und den Klimaschutz einsetzen, doch besser auf Dialog und Einbeziehung setzen sollte.
Denn wir wollen nicht, dass es dazu kommt, ...
- dass sich die einen frustriert abwenden, weil sie enttäuscht sind von einem demokratischen System und einer zögerlichen Verwaltung.
- und dass sich die anderen radikalisieren, weil sie Polizeieinsätzen mit Hubschraubern, Drohnen und großangelegten Sperren empörend finden.
Das macht uns große Sorgen.
Reinhard Bödenauer
Präsident der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien
Christoph Watz
Generalsekretär der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien
Download PA Räumung der Lobau-Stadtstraßenbaustelle: Skandalöses Vorgehen gegenüber politisch engagierten Jugendlichen
Download Nachlese zur Räumung des Protest-Camps Stadtstraße
Hier finden Sie Links zu Pressemeldungen zur Räumung der Baustelle Stadtstraße:
- Wien@orf.at - https://wien.orf.at/stories/3141182
- Religion@orf.at - https://religion.orf.at/stories/3211231/
- Katholische Presse Agentur - Stadtstraße-Protestcamp: Räumung für Katholische Aktion "skandalös" (kathpress.at)
- Signal: SPÖ vs. engagierte Jugend - dieSubstanz.at
Wiener Stadtsender W24 zur Podiumsdiskussion "Zur Debatte um die Lobau-Autobahn"
Mit der Aktivistin und Theologin Anna Kontriner (Sie war bei der Delegation der „LobauBleibt-Bewegung“ im Jänner 2022 beim Treffen mit Stadträtin Ulli Sima dabei), Thomas Madreiter (Magistratsdirektion der Stadt Wien), Christof Dauda (Landesstraßenplaner der NÖ Landesregierung) und Günter Emberger (Institut für Verkehrswissenschaften der TU Wien). Die Diskussion fand am 31.1. 2022 im Otto-Mauer-Zentrum statt.
- https://www.w24.at/News/2022/2/Stadtstrasse-Diskussionen-gehen-weiter
- Gesamt-Dokumentation der Podiumsdiskussion "Zur Debatte um die Lobau-Autobahn" - https://youtu.be/pNVcDOcneBk