Das Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich
7 GERECHTIGKEIT WELTWEIT
Gerechtigkeit weltweit
Altes Testament
Dann tragen die Berge Frieden für das Volk
und die Höhen Gerechtigkeit.
Er wird Recht verschaffen den Gebeugten im Volk,
Hilfe bringen den Kindern der Armen. (Psalm 72, 3-4)
Neues Testament
Vater, dein Name werde geheiligt.
Dein Reich komme. (Lukas 11, 2b, c)
GLOBALISIERUNG UND ARMUT
(261) Die Welt ist in den vergangenen Jahrzehnten im Zuge der Globalisierungsprozesse von Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie zusammengerückt. Doch weltweit verteilte Produktionsprozesse und weltumspannende Dienstleistungsangebote bedeuten nicht schon eine Globalisierung der Gerechtigkeit und der Schöpfungsverantwortung.
Die Ungleichheit zwischen Kontinenten und Staaten ist größer geworden, ebenso jene zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen innerhalb der einzelnen Länder. Während ein Sechstel der Weltbevölkerung über einen sehr hohen Lebensstandard verfügt, kämpft etwa die Hälfte der Erdbevölkerung noch immer um die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse.
Zunehmende Ungleichheit
(262) Am Beginn des dritten Jahrtausends verbrauchen zwanzig Prozent der Weltbevölkerung rund drei Viertel der Ressourcen der Erde. Zwei Drittel der Weltbevölkerung müssen mit weniger als zwei Euro pro Tag auskommen.
Ungleich ist auch die Verteilung zwischen den Geschlechtern: Frauen tragen zwar die Hauptlast der Arbeit, erzielen jedoch weit weniger Einkommen und verfügen selten über Besitz und Vermögen.
Die Zahl der Armen hat sich vor allem dort erhöht, wo Kriege Infrastruktur und Landwirtschaft und damit die Lebensgrundlagen der Bevölkerung zerstören. Dabei geht es oft um den Zugang zu oder die Kontrolle von Rohstoffen.
Auch in einigen ehemals kommunistischen Staaten Mittel- und Osteuropas hat die Armut zugenommen, während einige Wenige sich extrem bereichern. Die Wirtschaftskrisen der letzten Jahre in Asien und Lateinamerika, vor allem die Auswirkungen des Zusammenbruchs der liberalisierten Finanzmärkte, haben auch dort viele Menschen in die Armut gestürzt.
GLOBALISIERUNG BRAUCHT SOZIALE DIMENSION
(263) Wirtschaftliche Globalisierung bedeutet Öffnung der Grenzen für Waren und Dienstleistungen, Privatisierung gemeinschaftlicher Einrichtungen und Wettbewerb. Soziale und Umwelt-Anliegen haben dabei keinen großen Stellenwert.
Ein ganzheitliches Verständnis von Wirtschaft schließt den nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen der Erde ebenso ein wie die Forderungen nach Verteilungsgerechtigkeit und gerechten Austauschbedingungen für die Produkte der Länder des Südens.
(264) Nach wie vor sind die armen Länder des Südens überwiegend auf Rohstoff-Exporte angewiesen, für die sie wegen sinkender Weltmarktpreise immer weniger erhalten. Durch die Rücknahme von Handelsbarrieren werden vor allem die Industrieländer bevorzugt. Ihre überlegene Technik und Exportsubventionen für Lebensmittel öffnen ihnen neue Märkte, während die Entwicklungs- und Schwellenländer ihre eigenen Stärken im Export kaum ausspielen können und dazu die Möglichkeit verlieren, ihre Kapazität im eigenen Land zu nützen.
Zudem hat die zu rasche Öffnung der Finanzmärkte in zahlreichen Transformations- und Entwicklungsländern zu schweren wirtschaftlichen und sozialen Krisen geführt.
Entschuldung und Armutsbekämpfung
(265) Die Welthandelsorganisation (WTO), der Internationale Währungsfond (IWF) und die Weltbank sind wichtige Akteure der Globalisierung. Armutsbekämpfung ist zwar zu einem wichtigen Ziel dieser Institutionen geworden, mit ihren konkreten Maßnahmen bewirken sie jedoch nicht selten das Gegenteil.
Um notwendige Kredite zu erhalten, müssen arme Länder weitreichende Anpassungsmaßnahmen durchführen, die mit einer Liberalisierung von Handels- und Finanzregeln einhergehen. Diese Programme nehmen zu wenig Rücksicht auf Besonderheiten der Länder und die Grundbedürfnisse der Menschen. Der propagierte Rückzug des Staates, die Privatisierung öffentlicher Güter wie Wasser, Krankenversorgung oder Schulen in Verbindung mit harten Budgeteinsparungen haben dann den Zusammenbruch des Sozialsystems zur Folge.
(266) Eine gerechte Entschuldung muss unterschiedliche Interessen berücksichtigen und darf nicht auf dem Rücken der Armen ausgetragen werden. Deshalb sollten die Länder selbst, und auch deren zivilgesellschaftliche Gruppen an der Ausarbeitung geeigneter Maßnahmen und Programme angemessen beteiligt werden.
Sollte bei in Kraft treten des WTO- Dienstleistungsabkommens (GATS) der Zugang zu Bildung, Gesundheit, Nahrung und Wasser in weiten Bereichen von der Kaufkraft abhängig werden, würden damit weltweit elementare Rechte auf eine Grundversorgung aller gefährdet.
Ausbau der internationalen Organisationen
(267) Die Rolle von großen, insbesondere transnationalen Unternehmen wird immer wichtiger. Ihrer globalen Macht steht jedoch keine entsprechende Kontrolle gegenüber.
Multilaterale Abkommen werden oft ohne Berücksichtigung bzw. Abstimmung mit bereits akkordierten Übereinkommen beschlossen. Kommt es dann zu inhaltlichen Widersprüchen, werden Abkommen, für die konkrete Sanktionen vorgesehen sind, eher umgesetzt als Absichtserklärungen in internationalen Verträgen.
Ein wichtiger Schritt ist der Umbau von Steuerungs- und Entscheidungsstrukturen internationaler Institutionen. Eine Stärkung der verschiedenen Einrichtungen der UNO gegenüber anderen internationalen Organisationen wie WTO, IWF und Weltbank könnte ein wesentlicher Beitrag zu mehr Gerechtigkeit sein.
Engagement für Entwicklung
(268) Österreichs Beitrag zur weltweiten Entwicklungszusammenarbeit liegt seit Jahren unter dem Durchschnitt der Länder der Europäischen Union, wobei die Zahlungen an internationale Institutionen und der Aufwand für Studenten aus Dritte-Welt- und Transformations-Ländern nicht allzu viel Spielraum lassen für Projekt- und Programmarbeit in den Ländern selbst.
Die konkrete Entwicklungs-Zusammenarbeit ist weithin vom Engagement Nicht-Staatlicher Organisationen getragen, wenn auch häufig durch öffentliche Gelder unterstützt.
(269) Kirchliche Organisationen engagieren sich in vielen Ländern des Südens, und mehr und mehr auch in den Transformationsländern Osteuropas.
Kirchliche Projekte und Programme werden stets in Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen und kirchlichen Einrichtungen am Ort durchgeführt, um so möglichst gute Voraussetzungen für eine dauerhafte Verbesserung der Situation zu schaffen.
In Österreich selbst sind die kirchlichen Einrichtungen wesentliche Träger der Information über die Situation und das Leben von Menschen in den armen Ländern und Regionen unserer Erde. Viele kirchliche Gemeinden und Gemeinschaften, Pfarreien und Gruppen unterstützen im Rahmen von Partnerschaften mit Gemeinden in Dritte-Welt-Ländern konkrete Projekte der Entwicklungs- und Missionsarbeit.
Weltweite Zusammenarbeit
(270) Soll entsprechend der Abschlusserklärung des Milleniumsgipfels der Vereinten Nationen 2000 die Zahl der in absoluter Armut lebenden Menschen bis zum Jahr 2015 halbiert werden, braucht es ein Umdenken der reichen Länder und das Engagement aller staatlichen Einrichtungen und nicht-staatlichen Organisationen.
Eine dauerhafte Verbesserung der Situation der Armen verlangt eine Entwicklungspolitik, die auf ein sozial- und ökologisch nachhaltiges Wirtschaftswachstum ausgerichtet ist. Neben der dringend notwendigen Entschuldung aller armen Länder ist eine Umverteilung von Ressourcen, wie landwirtschaftlich nutzbarem Boden, notwendig. Die Sicherung sozialer Grunddienste wie Trinkwasserversorgung, Bildung und medizinische Versorgung hat absolute Priorität, wenn es um eine nachhaltige Verbesserung der Lebensumstände geht.
(271) Der Lebensstil der reichen Industrieländer lässt sich nicht auf die gesamte Weltbevölkerung übertragen. Viele Christinnen und Christen sind sich dessen bewusst und bemühen sich, in ihrem täglichen Leben und Konsum Kriterien einer sozial und ökologisch nachhaltigen Wirtschaftsweise zu berücksichtigen.
Kirchen in der Einen Welt
(272) Für die christlichen Kirchen ist unbeschränktes Wirtschaftwachstum, verbunden mit der Ausbeutung von Mensch und Natur, unvereinbar mit der „Vision der oikoumene“ der Einen Welt. Zunehmende Ungerechtigkeit und Zerstörung von Lebenschancen stehen im Gegensatz zur befreienden Botschaft des Evangeliums, deren Verkündigung seit jeher verbunden war mit dem Engagement für die Armen und Notleidenden.
Die notwendige Grundlage für weltweite Gerechtigkeit bildet eine aufeinander abgestimmte Handels- Finanz- und Sozialpolitik, welche einer nachhaltigen Entwicklung und der Beseitigung von Armut den Vorrang einräumt.
(273) Die christlichen Kirchen setzen sich, gemeinsam mit vielen Menschenrechtsorganisationen, für eine Globalisierung von Rechten ein: die allgemeinen Menschenrechte, soziale, politische und ökonomische Rechte sowie spezifische Frauenrechte müssen weltweit anerkannt und durchgesetzt werden.
EINSATZ FÜR WELTWEITE GERECHTIGKEIT
Aufgaben für die Kirchen
- Die Kirchen sind aufgerufen, mehr Mittel als bisher für Bewusstseinsbildung zu Fragen der internationalen Politik und mehr Ressourcen für die Mitgestaltung internationaler Vorgänge bereitzustellen. (274)
- Die christlichen Kirchen in Österreich erhöhen die Ausgaben für Entwicklungsförderung und Mission durch einen verbindlichen Stufenplan. Der Ökumenische Rat der Kirchen richtet dazu eine Arbeitsgruppe ein, um Ziele, Ausmaß und Zeitplanung abzustimmen. (275)
- Die christlichen Kirchen lenken die Aufmerksamkeit ihrer Mitglieder auf globale Vorgänge und laden sie ein, sich auch an den entsprechenden Initiativen zu beteiligen. (276)
- Die christlichen Kirchen setzen sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten für einen Reformprozess innerhalb internationaler Institutionen ein und unterstützen eine Neupositionierung der UNO. (277)
- Die Kirchen treten für einen Demokratisierungsprozess auf internationaler Ebene ein, der die wirtschaftlich benachteiligten Länder stärkt und die verschiedenen Nicht-Regierungs-Organisationen in die Entscheidungsvorgänge einbindet. (278)
FÜR GERECHTE RAHMENBEDINGUNGEN
Aufgaben für die Gesellschaft
- Die Kirchen erwarten, dass in Österreich ein verbindlicher Stufenplan zur Erhöhung der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit von Bund, Ländern und Gemeinden erarbeitet wird, um möglichst rasch die vereinbarte Höhe von 0,7% des Brutto-Sozialprodukts zu erreichen. (279)
- Die Kirchen fordern die Regierung auf, Information und Spenden für Entwicklungszusammenarbeit durch geeignete Maßnahmen zu fördern, insbesondere auch durch steuerliche Absetzbarkeit. (280)
- Die Kirchen treten dafür ein, dass Abkommen der Welthandelsorganisation (WTO) auf ihre Umwelt- und Sozialverträglichkeit, unter besonderer Berücksichtigung der Auswirkungen auf Frauen, geprüft werden. (281)
- Die Kirchen fordern die Regierungen auf, bei Entschuldungsprogrammen darauf zu achten, dass die Schuldnerländer und ihre zivilgesellschaftlichen Gruppen an der Ausarbeitung geeigneter Maßnahmen und Programme angemessen beteiligt werden. (282)
- Die Kirchen erwarten von der Politik, die Regulierung der Finanzmärkte durch geeignete Maßnahmen, wie etwa die Einführung einer Tobin-Steuer, voranzutreiben. (283)
- Die Kirchen appellieren an die Regierung, sich für eine Stärkung der UNO und ihrer vielfältigen, teils autonom agierenden Einrichtungen sowie für eine administrative, strukturelle und institutionelle Reform der Weltorganisation einzusetzen, die auch eine Neugestaltung des UN-Budgets beinhaltet. (284)