Das Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich
6 FRIEDEN IN GERECHTIGKEIT
Friede
Altes Testament
Er spricht Recht im Streit der Völker,.... Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den Krieg. (Jesaja 2,4)
Neues Testament
Jesus,... ist unser Friede. Er ... riss durch sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft nieder. (Epheser 2,14)
FRIEDEN - GABE UND AUFGABE
(236) Seit der Auflösung des kommunistischen Staatensystems 1989/90 hat sich unsere Welt dramatisch verändert. Wie Politik und Gesellschaft insgesamt, so suchen auch die Kirchen nach Antworten auf die neuen und oft unerwarteten Veränderungen, nach Wegen zur humanen Bewältigung der vielfältigen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen, die sich in einer zunehmend unübersichtlichen Welt stellen.
(237) Für viele Menschen sind die Entscheidungsprozesse in unserer Gesellschaft undurchschaubar geworden, sie zweifeln an der Zuverlässigkeit von Organisationen und Institutionen sowie an realen Möglichkeiten zur Mitgestaltung der entscheidenden Vorgänge in Politik und Wirtschaft.
(238) Das Bedürfnis nach Sicherheit und die Sehnsucht nach Frieden sind konfrontiert mit den Spannungen zwischen Sicherheit und Freiheit, Wohlstand und Risiko, Eigeninteresse und Solidarität. Oft werden gerade jene Technologien, die Sicherheit gewährleisten sollen, zur Quelle neuer Bedrohungen. Bemühungen zur Abwehr terroristischer Gefährdungen können Grund- und Freiheitsrechte aushöhlen.
Eine prophetische Botschaft
(239) Die Bibel betont, dass politische Macht ihre Legitimität nicht aus militärischer Stärke, sondern aus dem Maß an verwirklichter Gerechtigkeit erhält. Schon die Propheten Israels haben in ihrer Verkündigung den engen Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Frieden herausgestrichen.
(240) Die Kirchen haben diese Botschaft in die Formel „Frieden in Gerechtigkeit“ gefasst und auf der Ersten Europäischen Ökumenischen Versammlung in Basel 1989 in die Zielperspektive „Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung“ eingebracht.
Auf der Zweiten Europäischen Ökumenischen Versammlung in Graz 1997 wurde der Beschluss gefasst, ein gemeinsames Dokument zu erarbeiten. 2001 wurde die „Charta Oecumenica“ „als gemeinsame Verpflichtung zum Dialog und zur Zusammenarbeit“ angenommen. Die Kirchen verpflichten sich darin, sich für ein humanes und soziales Europa einzusetzen, für Menschenrechte und die Grundwerte des Friedens, der Gerechtigkeit, der Freiheit, der Toleranz, der Partizipation und der Solidarität.
FRIEDEN IN EINER GLOBALEN WELT
(241) Die beschleunigten gesellschaftlichen Veränderungsprozesse erzeugen ein hohes Maß an Unsicherheit. Es ist nicht absehbar, wohin die Entwicklung führt. Für den christlichen Glauben kann Sicherheit nicht durch „Rosse und Wagen“ (Psalm 20,8) erreicht werden. Sicherheit und Frieden leben von begründetem Vertrauen, von verlässlichen Beziehungen und von der Überzeugung, dass ein Leben in Gerechtigkeit ohne Armut und Not möglich ist.
(242) Begegnung, Dialog, der konstruktive Umgang mit Verschiedenheit, das Bemühen um eine integrative Sprache, Erziehung zum Frieden und Mediationsverfahren können helfen, möglichen Konflikten zuvor zu kommen oder sie in einer guten Weise auszutragen.
Frieden schaffen und sichern
(243) Der Wunsch nach Frieden schafft noch keine friedliche Welt. In der Zielperspektive sind sich die Kirchen einig, Unterschiede bestehen in der Bewertung und Wahl der Mittel und Wege, die zum Frieden führen können.
Dabei geht es um die Frage der Gewaltfreiheit und um die Rechtfertigung der Anwendung militärischer Gewalt. Unter welchen Bedingungen ist die Anwendung militärischer Gewalt als letztes Mittel auch für Christen und Christinnen erlaubt, ja sogar geboten? Oder sind die Kirchen vom Evangelium Jesu Christi her aufgerufen, dem Geist, der Logik und der Praxis militärischer Gewalt ausnahmslos abzusagen? Was bedeutet es, dass in der Entwicklung der letzten Jahre Krieg wieder zu einem Mittel der Politik wird?
Während für die einen nur die Option der Gewaltfreiheit durch das Evangelium legitimiert ist oder wenigstens die konsequenteste Umsetzung der Botschaft Jesu darstellt, gehen andere von Recht und Pflicht zu Notwehr und Nothilfe auch unter Einsatz verhältnismä¾iger Gegengewalt als letztem Mittel aus. Sie sehen dies nicht als Widerspruch zum Evangelium, sondern als Erfüllung des Gebotes der Nächstenliebe.
(244) Christliche Soldaten und Soldatinnen gründen ihr Selbstverständnis auf diese Position. Sie betonen die strengen ethischen Voraussetzungen und Bedingungen, denen ein möglicher Einsatz militärischer Mittel gemäß einer christlichen Ethik, gemäß dem geltenden Völkerrecht und gemäß den sich herausbildenden internationalen Rechtsprinzipien unterliegt.
Dies zeigt sich vor allem in den vielfältigen Einsätzen von Soldaten und Soldatinnen zur Sicherung von Frieden und Stabilität in Krisenregionen, mit einem Mandat der Vereinten Nationen und in enger Kooperation mit zivilen Organisationen.
Die Diskussion um Friedenssicherung und legitimen Einsatz militärischer Mittel muss, den jeweils veränderten Umständen entsprechend, innerhalb wie auch zwischen den verschiedenen Kirchen weiter geführt werden.
Gewalt überwinden
(245) In manchen Weltregionen werden Kriege und Konflikte unter dem Zeichen der Religion ausgetragen. Auch die aktuellen Terrorismusgefährdungen werden allzu schnell mit religiösen Unterschieden in Zusammenhang gebracht. Darüber hinaus setzen sich religiös geprägte politische Bewegungen für die Schaffung von Staatsmodellen ein, die dem modernen europäischen Verständnis widersprechen.
Der Missbrauch von Religion und religiösen Gefühlen für die Zwecke politischer Macht ist vor allem dort erfolgreich, wo wirtschaftliche Not, Unterdrückung und Mangel an Bildung und Information den Menschen keine Hoffnung auf Verbesserung ihrer Lebensumstände geben.
In Kirchen und politischen Bewegungen hat in den letzten Jahren ein intensiver Diskussionsprozess über solche Fragen stattgefunden, der sich an den schrecklichen ethnischen Säuberungen bis hin zum Völkermord in verschiedenen Weltregionen entzündet hat. Für Christinnen und Christen ist Respekt vor der jeweiligen Glaubensentscheidung selbstverständlich. Dabei verbindet sie in der Frage der Friedenssicherung weit mehr, als sie trennt.
Umfassender Frieden
(246)Das Ziel eines „Friedens in Gerechtigkeit“, das heißt ein umfassender und ganzheitlicher Begriff von Frieden und Sicherheit, prägt jede Stellungnahme von Christinnen und Christen zu diesen Fragen. „Frieden in Gerechtigkeit“ ist eine anspruchvolle Vision, die auf nichts weniger abzielt, als die Beziehungen zwischen den Menschen, ethnischen und religiösen Gemeinschaften, den Völkern und den Staaten auf die Anerkennung der Würde aller, auf die Achtung der Menschenrechte, auf nachhaltige politische, soziale und wirtschaftliche Entwicklung zu bauen, unter Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen und in Verantwortung für die zukünftigen Generationen.
(247) In manchen Teilen der Welt, besonders in Afrika, breitet sich eine neue Art von Kriegen aus, die sich in erster Linie gegen die Zivilbevölkerung richten. Dabei geht es vor allem um Geschäfte mit Rohstoffen, um deretwillen die selbsternannten Kriegsherren mit Waffen unterstützt werden. Der Einsatz arbeitsloser Jugendlicher und von Kindern ohne Chance auf eine Schulbildung, zusammen mit der Schwäche der Regierungen, führen in eine Anarchie, die jede Hoffnung auf Entwicklung auf Jahrzehnte hinaus zerstört.
Präventiv handeln
(248) Der Vorrang gewaltfreier Wege, und das Ausloten aller Möglichkeiten präventiven Handelns, zielen darauf ab, Konflikte möglichst bereits im Ansatz zu lösen. So können in manchen Fällen politische oder rechtliche Maßnahmen eskalierende Konflikte eindämmen. Wo Gewalt auf schlechten sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen beruht, ist sie nur durch umfassende gesellschaftliche Entwicklung zu beseitigen.
(249) Christliches Sprechen über den Frieden und jedes Handeln der christlichen Kirchen wird vorrangig die Frage nach den Auswirkungen solcher Maßnahmen auf die benachteiligten und die schwächsten Gruppen der Gesellschaft stellen. In vielen Teilen der Welt sind dies Fremde, Flüchtlinge, Migranten und ethnische Minderheiten, sehr oft Frauen, Kinder und alte Menschen.
Hier öffnet sich ein weiter Bereich persönlichen und gemeinschaftlichen Engagements von Christinnen und Christen.
FÜR EINEN UMFASSENDEN FRIEDEN
Aufgaben für die Kirchen
- Die Kirchen fördern eine umfassende Spiritualität des Friedens und der Gewaltfreiheit. (250)
- Die Kirchen wollen zur Minimierung jeglicher Art von Gewalt bei tragen, besonders durch ihr Engagement im Rahmen der „Ökumenischen Dekade zur Überwindung von Gewalt“ und der „UN-Dekade für eine Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit für die Kinder dieser Welt“ (2001-2010). (251)
- Christinnen und Christen setzen sich öffentlich für friedensfördernde und kriegsverhindernde Maßnahmen ein, so für die Anti-Landminen-Kampagne, gegen die Produktion, die Verbreitung und den Einsatz von Massenvernichtungswaffen, gegen den Missbrauch von Kindern als Soldaten, für die Ächtung von Gewalt gegen Frauen als Kriegswaffe, für die Förderung der Friedens- und Gedenkdienste. (252)
- Die Kirchen gestehen ihr eigenes schuldhaftes Verhalten ein und tragen dazu bei, die verbreitete kollektive Vergesslichkeit zu überwinden sowie historische Demütigungen und Ungerechtigkeiten ehrlich aufzuarbeiten. (253)
- Die Kirchen stellen Zeit und Raum bereit, damit Traumata aufgearbeitet werden und Wunden heilen können. Sie engagieren sich in einer geschlechtergerechten Konfliktnachsorge, damit Menschen nach bitteren Leiderfahrungen wieder Vertrauen aufbauen können. (254)
- Die Kirchen sind bereit, ohne religiöse, ethnische und politische Berührungsängste mit friedensengagierten Menschen - vor allem in Krisengebieten - zusammenarbeiten. (255)
FRIEDEN DURCH GEMEINSAMES BEMÜHEN:
Aufgaben für die Gesellschaft
- Die Kirchen treten dafür ein, dass Lernorte der Demokratie und konstruktiver Konfliktkultur gefördert werden, um eine breite gesellschaftspolitische Diskussion von Friedensfragen zu ermöglichen. (256)
- Die Kirchen fordern die Bundesregierung auf, den Einsatz für die zivile Versöhnungsarbeit zu verstärken. Der Friedensdienst soll als Projekt gemeinsam mit den Kirchen und anderen Nicht-Regierungs-Organisationen entwickelt und international zur Verfügung gestellt werden. (257)
- Die Kirchen treten für Abrüstung und faire internationale Beziehungen, vor allem auf wirtschaftlicher Ebene, ein und fordern die Regierungen in Österreich, in der EU und weltweit dazu auf, die Ausgaben für Rüstungsprojekte drastisch zu reduzieren. (258)
- Die Kirchen fordern Österreich als neutrales Mitglied der Europäischen Union dazu auf, sich für eine Außen- und Sicherheitspolitik einzusetzen, die auf klaren ethischen und völkerrechtlichen Prinzipien gründet. (259)
- Die Kirchen treten dafür ein, die Rolle der UNO in der internationalen Friedenspolitik und im weltweiten Krisenmanagement zu stärken. Die UNO hat die stärkste völkerrechtliche Legitimation für Maßnahmen der Friedensschaffung und der Schlichtung großer internationaler Krisen - in denen im Extremfall auch Militär zum Einsatz kommen kann. Diese Fälle müssen jedoch sorgfältig geprüft und nur nach Völkerrecht und unter UN-Leitung entschieden und durchgeführt werden. (260)