Aus der Geschichte lernen
Aber so ist eben Demokratie. Aufgelockert wurde dieser wunderschöne Wintertag, den wir alle in geschlossenen Räumen zubringen mussten, allerdings dadurch, dass ich dort viele Menschen traf, mit denen ich ein Stück des Weges gegangen war und die ich schon lange nicht gesehen hatte.
Es mag verwundern, dass ich vor allem viele Frauen und Männer traf, die ich aus kirchlichen Zusammenhängen kannte. Auch die neu zu wählende Vorsitzende war ein begeistertes Jungscharkind aus der Gruppe meiner Tochter. Es war also doch nicht alles umsonst, was viele engagierte Personen im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Katholischen Kirche für die Gestaltung einer besseren Welt getan hatten. Mein Anliegen war es immer, der Kernbotschaft des Evangeliums, der Bergpredigt, so gut ich konnte zu entsprechen und diese Botschaft weiterzutragen und hier schien es unerwartete Früchte zu tragen.
Ich traf bei dieser politischen Veranstaltung Menschen, die in der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit tätig gewesen waren und auch Frauen aus dem Umfeld der Katholischen Frauenbewegung. Viele von ihnen haben sich zumeist von der Amtskirche ein Stück entfernt, den inneren Kern des Evangeliums aber haben sie in sich lebendig gehalten.
Es waren auch sehr viele junge engagierte Menschen dort, für die das Engagement keinerlei Karrierepfad ermöglicht, denen aber eine demokratische und gerechte Gesellschaft ein Anliegen zu sein scheint und die Schöpfungsverantwortung übernommen haben. Die katholische Kirche hätte für manche der dort Anwesenden spirituelle Heimat sein können, würde sie ein weltoffenes und einladendes Bild abgeben.
Diese Begegnung mit engagierten Menschen, denen ich in der Katholischen Kirche als ich dort tätig war, so gerne mehr Raum gegeben hätte, veranlasste mich, in meinen Aufzeichnungen aus meiner aktiven Zeit bei der Katholischen Frauenbewegung nachzulesen. Ich muss sagen, die Aktualität hat mich überrascht und auch ein wenig zornig gemacht.
So schrieb ich im September 1990 in der Zeitung der kfb Wien:
„Wir Frauen, und vor allem wir katholische Frauen, neigen dazu, Politik als ein schmutziges Geschäft zu betrachten, mit dem wir nichts zu tun haben wollen. Aber die Politik entlässt uns nicht, ob wir sie jetzt aktiv mitgestalten oder passiv über uns ergehen lassen.
….die Konflikte der arabischen Welt können zu einem Weltenbrand ausarten, es gibt keine Zuschauer der Weltgeschichte. Die Armen der Dritten Welt finden den Weg in unsere Wohlstands-Städte, wenn wir nicht mithelfen, ihre Länder menschenwürdig zu gestalten.“
Und kurz danach anlässlich des Irak-Kriegs:
„Wollen wir unseren Wohlstand weiter darauf aufbauen, dass andere Länder sich durch Verteilungskriege um Öl und demnächst auch um Wasser selbst ausrotten? Wollen wir das Hungersnöte unvorstellbaren Ausmaßes Afrika heimsuchen? Wollen wir, dass gedemütigte, verarmte arabische Fundamentalisten demnächst in den Heiligen Krieg gegen Europa ziehen?
…..Nach großen Katastrophen hört man immer „Wir haben es ja nicht wissen können“. Diesmal hätten wir es (wie übrigens zumeist) wissen können. Wir können nicht als eine kleine Minderheit ungestraft weiter diesen Planten ausplündern.“
Wohlgemerkt, das habe ich von 35 Jahren geschrieben. Und wir haben auch Taten gesetzt, aber die Amtskirche hat uns wenig unterstützt. Viele unserer Aktivitäten, die Christentum in die Tat umsetzen wollten, wurden als „links“ und „unchristlich“ diffamiert. Christlich hingegen galt ein Bischof Laun, der damals Waffenhändlern vor Gericht Freibriefe ausstellte.
Uns ging es nie um politischen Katholizismus, d.h. um jene entartete Form der Zwischenkriegszeit, die alles tat, um den Herrschaftsbereich der Kirche mit Unterstützung der Politik auszuweiten, uns ging es um den Einsatz für ein besseres Leben für alle, christlich ausgedrückt, um die Fülle des Lebens.
Die Welt christlich zu gestalten, dürfen wir heute weniger denn je an die Kirchenleitung delegieren – es ist die Aufgabe einer und eines jeden von uns. Aber natürlich können wir von jenen, die mit Leitungspositionen unserer Kirche beauftragt sind, erwarten, dass auch sie ihre Stimme erheben, wenn politisch Verantwortung Tragende menschenverachtend, aufhetzend und zerstörerisch agieren. Denn ihre Stimme hat in der Gesellschaft noch immer ethisches Gewicht. Ich warte darauf allerdings zumeist vergebens.
Die deutsche Bischofskonferenz hat sich gegen Nationalismus und Rechtsextremismus eindeutig zu Wort gemeldet. Sie fühlt sich verantwortlich für die historische Schuld ihres Landes und dem „niemals wieder“. Aber hat nicht Österreich die gleiche Vergangenheit?
Es gibt da sichtlich einen gravierenden Unterschied. Als Hitler in Deutschland schon sein Terrorregime ausübte, wurde in Österreich zwischen 1933 und 1938 versucht, mittels einer austrofaschistischen Diktatur den Nationalsozialismus abzuwenden. Dieses Regime Dollfuß fußte auf der Unterstützung des Faschisten Mussolini und wurde von der Katholischen Kirche getragen.
Da Dollfuß von illegalen Nazis ermordet und die Träger des „Ständestaats“ mit dem ersten „Prominententransport“ ins Konzentrationslager Dachau gebracht wurden, hielt sich in Österreich lange Zeit die Geschichtslüge, dass bei uns die Diktatur erst 1938 begonnen hat. Ich glaube, es stünde der Katholischen Kirche und ihren Laienorganisationen gut an, sich damit auseinanderzusetzen, dass man in zugegebenermaßen schwierigen Zeiten der Versuchung erlegen ist, ein Regime zu tragen, das faschistisch war, also einem Führerprinzip folgte und gewalttätig gegen Andersdenkende vorging.
Dieses Schuldeingeständnis wäre für die geistige Hygiene wichtig, um sich die Möglichkeit zu eröffnen, ohne parteipolitische Rücksichtnahmen Unrecht und menschenverachtende Äußerungen und Handlungen kritisieren zu können.
Es gab in den Kirchen immer mutige Personen, die sich gegen Unrecht, das sie zu erkennen glaubten, stellten, aber sie wurden in der Geschichte oft nur als Feigenblätter benutzt, um andere Haltungen zuzudecken. Sich offen und gradlinig in dieser mittlerweile wieder schwierig gewordenen Zeit zu Wort zu melden, auch mit dem Wissen, viele Unbelehrbare zu verärgern, stünde unserer Kirche insgesamt gut an.
In dieser von so vielen Brüchen gekennzeichneten Lage sind gerade wir Christinnen und Christen aufgerufen, in Anbetracht unserer Geschichte, Scheuklappen abzulegen, mutig zu sein und Hoffnung zu ermöglichen. Gehen wir es an.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.
