Wir sind mitten in einer Sorge-Krise. Diese Krise kommt nicht dadurch, dass die bislang geduldigen „Kindergarten-Tanten“ auf die Straße gehen, Lehrer:innen ein Ende ihrer Aufopferungsbereitschaft ansagen und Gesundheitspersonal das ihnen zugeschriebene hohe Berufsethos als Ausbeutungsfalle erkannt hat. Die Sorge-Krise ist die logische Folge unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsform. Der Kapitalismus „kannibalisiert“ systematisch die soziale Reproduktion.
Trotz der übergroßen Leistungsbereitschaft im Bereich sozialer Dienstleistungen Tätiger, trotz der permanenten Überarbeitung jener, die in Privathaushalten unbezahlte oder schlecht bezahlte Sorgearbeit leisten, nehmen die Erfahrungen der Menschen mit misslingender Sorge zu. Der Vertrauensverlust in die Politik hat auch mit diesen Erfahrungen zu tun.
Bei Fragen der Care-Gerechtigkeit geht es nicht um Wehleidigkeiten von Frauen und die ewige Hoffnung, einige Männer mehr mögen in Karenz gehen, Elementarpädagogen werden oder sich verantwortlich für die Organisation der Pflege ihrer Eltern fühlen. Vielmehr muss die Wucht des Problems erkannt werden.
Die herrschende Care-Unordnung sieht so aus: Gruppen, die ohnehin schon gesellschaftlich diskriminiert sind, werden darauf festgelegt, besonders „geeignet für das Sorgen“ zu sein: Frauen, armutsbetroffene Menschen, Migrant:innen, People of Color. Sie sind auf Tätigkeiten festgelegt, die – wie die Feministische Ökonomie aufzeigt – im kapitalistischen Denken als wertlos gelten, wiewohl sie die Voraussetzung dafür sind, dass es Produktion, Profit, Wachstum… überhaupt geben kann. So wird Care-Gerechtigkeit verfehlt!
Wählerinnen haben verstanden, warum mehr Frauen als Männer in der Altersarmut landen; Migrant:innen wissen, dass ihre Arbeit für das Funktionieren von Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen zentral ist, ihre politische Mitsprache aber kaum jemand interessiert; 24-Stunden Pfleger:innen sorgen nicht nur für einzelne Menschen, sondern für das prekäre Aufrechthalten des gesamten Pflege-Systems. Wird es in der kommenden Legislaturperiode auch um Care-Gerechtigkeit gehen?
Lesen sie dazu auch den ausführlichen Reader "Erfolgreich argumentieren für Care-Gerechtigkeit", der von Maga Margit Appel und Maga Elisabeth Ohnemus im Auftrag der kfb-Wien erarbeitet wurde. Sie finden ihn auf der Website der kfb.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.