„Angst essen Seele auf“ so hieß in den 70er Jahren ein bedeutender Film des Regisseurs Rainer Werner Fassbinder. Er handelte von der entwertenden und ausschließenden Behandlung eines damaligen jugoslawischen Gastarbeiters in Deutschland. Die Reaktion der einheimischen Bevölkerung hat ihm und der Frau, die ihn liebte, die Hoffnung geraubt. Die ständige Angst, der er ausgesetzt war, ließ seine Seele verkümmern. Die Nachkommen dieser ersten Generation von fälschlich als Gastarbeiter bezeichneten Zuwanderer sind längst in Deutschland und Österreich integriert, oder sie sind nach Hause zurückgegangen, um dann infolge des Jugoslawienkriegs erneut im Ausland Schutz suchen zu müssen.
Heute ist es wieder so, dass aus allen Krisenregionen der Welt Zugewanderte nicht als vollwertige Menschen gesehen werden. Sie müssen mit ihren Fluchterfahrungen und ihrer Angst in einem unfreundlichen Umfeld leben. Ein neues Phänomen allerdings ist, dass die Angst vor ihnen aber ebenfalls groß ist und weite Teile der österreichischen Bevölkerung erfasst hat. Diese Angst geht so weit, dass sie im Begriffe ist, deren Seelen aufzufressen.
Wie wäre es sonst möglich, dass in Orten, in denen keine Migrantinnen und Migranten leben, eine der wesentlichen Beweggründe, eine rechtsextreme Partei zu wählen, die Angst vor eben diesen ist? Wer hat diese fressende Angst in ihre Seelen gepflanzt?
Es ist sicher nicht leicht, mit den Gegebenheiten unserer Zeit zurecht zu kommen. Schon vor Jahrzehnten wurde uns ein Wirtschaftssystem implantiert, das auf „Eigenständigkeit“ der Individuen beruht und Konkurrenz als oberstes Leitmotiv wirtschaftlichen Handelns sieht. Wie sollen wir Gemeinsinn entwickeln, wenn in einem so breiten Raum unseres täglichen Lebens nur das Recht des Stärkeren zählt? In der Corona Pandemie wäre dann das Miteinander gefragt gewesen und anfangs schien das auch zu funktionieren, aber dann siegten die Angst und verfestigte Standpunkte bis zur Feindschaft.
Der Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten haben diese Angst und die Abwehrhaltung des schwarz-weiß-Denkens noch verfestigt. Kriegsrhetorik hat nicht nur in den unsozialen Medien Einzug gehalten. Infolgedessen erleben wir eine Militarisierung und Verrohung der Sprache, die schleichend gekommen ist und die viele von uns deshalb gar nicht merken. Aber von dem, was gesagt wird hin zu dem, was dann getan werden kann, ist es kein allzu großer Schritt mehr, wie uns die Geschichte lehren sollte.
Die Älteren unter uns, die noch die homogenen Zeiten des Eisernen Vorhangs erlebt haben, wo man ausländischen Menschen kaum begegnete – denn auch der internationale Tourismus war ein Randphänomen – tun sich schwer damit, dass man in den öffentlichen Verkehrsmitteln in Wien ein Sprachengewirr hört und Deutsch am allerwenigsten.
Sie haben berechtigte Sorge, dass unser Schulsystem den vielfältigen Anforderungen nicht gewachsen ist. Aber muss uns das so große Angst machen? Wir genießen doch alle die Früchte der Globalisierung. Billige Waren aus aller Welt, Reisen in entfernteste und bisher noch unzugängliche Länder, aber wir wollen uns nicht damit abfinden, dass die Zuwanderung in unser Land sich aus den gleichen Quellen speist. Wer im eigenen Land keine Lebenschancen mehr sieht, kann heutzutage trotz aller Gefährlichkeit leichter flüchten. Um dagegen etwas zu tun, braucht es andere Instrumentarien als Mauern zu bauen.
Die Klimakrise wiederum hat eine lange Vorgeschichte des Ignorierens und Wegschauens. Dass die enorme Zunahme des Reichtums in den Ländern des globalen Nordens nie dagewesene Spuren der Zerstörung hinterlässt, wurde und wird noch immer geleugnet. Wir fühlen uns nicht in der Lage, einen nächsten Schritt in der Entwicklung unseres Wohlstands zu gehen. Die Abkehr vom Warenwohlstand hin zu einem Guten Leben für alle ist die einzige Chance, ohne kriegerische Konflikte die globale Erderwärmung einzudämmen und mit veränderten Bedingungen leben zu lernen.
Dabei müssen die Länder vorangehen, die hauptverantwortlich für diese Situation sind, auch wenn dort nur mehr eine geringere Zahl an Menschen lebt. Nur dann werden die Nachzügler im Warenwohlstand wie China und Indien ebenfalls diesen Weg beschreiten.
Es ist also kein Wunder, wenn viele Menschen Zukunftsängste haben, denn es gibt kein „Weiter wie bisher“. Diesen Slogan haben sich allerdings derzeit all jene unter den Nagel gerissen, denen der sehr vorsichtig eingeleitete Weg des Wandels schon zu weit geht. Sie haben im Grunde genommen Angst vor Veränderung und glauben an einem Lebensmodell festhalten zu können, das nicht zukunftsfähig ist.
Es gibt also wahrlich genug Gründe sich um die Zukunft Sorgen zu machen. Was können wir aber tun, damit diese Ängste nicht unsere Seele und die sie schützende dünne Schicht der Humanität und Zivilisation auffressen? Wir wissen es alle nicht. Aber wir können damit beginnen, dem Zeitgeist unseren Widerstand entgegenzusetzen. Überall dort wo wir Einfluss haben, zumindest einmal für eine gefühlte Klimaveränderung sorgen. Ein empathischer Umgang miteinander setzt Kräfte frei, die wir dann für Mut und zivilen Widerstand nützen können, uns den destruktiven Kräften entgegenzustellen. Überlassen wir doch nicht den Seelenfressern den öffentlichen Diskurs, nicht in der Begegnung und auch nicht in den sozialen Medien.
Für eine Einübung in Freundlichkeit, in eine Offenheit gegenüber dem und den Anderen, im Erlernen von Mut, sich destruktivem Verhalten entgegenzustellen, wäre der Advent wahrlich die richtige Zeit.
Mache dich auf und werde Licht!
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.
Hallo! Könnten wir bitte einige zusätzliche Dienste für Analyse, Sonstiges, Systemtechnische Notwendigkeit & Social Media aktivieren? Sie können Ihre Zustimmung später jederzeit ändern oder zurückziehen.