Vor einiger Zeit sah ich einen Film darüber, wie eine junge Familie durch die Mordanschläge auf die Konzerthalle Bataclan in Paris die Mutter verloren hat. Der Mann, dem diese Attentäter das Leben zerstört und seinem kleinen Sohn die Bürde auferlegt haben, mutterlos aufwachsen zu müssen, bringt seine Gedanken unter dem Satz „meinen Hass bekommt Ihr nicht“ in die Medien. Mich hat dieser Film sehr beeindruckt, denn es wird auch gezeigt, wie schwer dieser Vorsatz durchzuhalten ist. Dennoch ist es die einzige Möglichkeit, aus der Spirale der Gewalt, die bis zur gegenseitigen Vernichtung führt, auszusteigen. In diesem Fall war es die einzige Chance, dem mutterlosen Kind ein liebevolles Aufwachsen zu ermöglichen. Ich wünsche mir nur eine Spur von dieser Haltung in unseren derzeitigen Auseinandersetzungen.
Die hasserfüllten Äußerungen, die wir zunehmend live und in den sozialen und auch in den althergebrachten Medien hören und lesen müssen, speisen sich oft aus weitaus weniger dramatischen Erfahrungen und vergiften den privaten und öffentlichen Diskurs. Sie machen etwas mit unserer Sicht auf unser Leben und die Welt und sie haben Einfluss auf unser Handeln. Es werden Menschen laufend abgewertet. Menschen, die politische Verantwortung tragen, werden lächerlich gemacht, einzelne unerfreuliche Ereignisse verallgemeinert und um das alles aushalten zu können, wird die Welt in Schwarz und Weiß eingeteilt. Wir merken gar nicht, wie das unser Verhalten prägt. Die verdüsterten Blicke in den öffentlichen Verkehrsmitteln, die Streitlust wegen Kleinigkeiten, die unfreundliche Zurechtweisung im Alltag, das Grundmisstrauen allen und jedem gegenüber, schafft ein Klima der Bedrücktheit. Die Konzentration auf Defizite und Versäumnisse raubt uns die Lebensfreude und Lebenslust.
Nie hätte ich mir gedacht, dass ich Zeiten erleben werde, in denen Krieg zur einzigen Konfliktlösungsstrategie zu werden scheint. Neulich habe ich allen Ernstes gehört, dass in der EU bestimmte Waffenproduktion unter Nachhaltigkeits- und Sozialkriterien bei Investitionsfonds fallen könnte, weil das die Finanzierung erleichtern würde. Dies war ein ernst gemeinter Beitrag in der ZIB. Es ist also kein Wunder, wenn unsere Gedanken und unsere Kommunikation verrohen.
Wir müssen nicht mit allen Menschen gut Freund sein – wir können uns auch aus dem Weg gehen, aber der Grundsatz „meinen Hass bekommt ihr nicht“, das wäre schon was. Gegnerschaft ohne Hass, Widerstand ohne Gewalt, das waren doch die Grundsätze in unseren jungen Jahren. Der kalte Krieg mit all seinen Auswüchsen und seinem Rüstungswahn hat zwar zu vielen Stellvertreter-Kriegen in anderen Teilen der Welt geführt, aber es war doch breiter Konsens, das zu verurteilen und dagegen aufzustehen. Es gab eine mächtige Friedensbewegung, die niemand ignorieren konnte. Derzeit scheint es so zu sein, dass sich alle damit abgefunden haben, dass Gewalt regiert, egal wie viele junge Menschen an den diversen Kriegsschauplätzen sterben und für ihr Leben gezeichnet bleiben, ganz egal wie viele alte Menschen die Gräuel am eigenen Leib verspüren müssen, egal wie viele Kinder nichts anderes sehen als Gewalt und Tod und mit diesem Stigma aufwachsen müssen.
Es muss uns doch gelingen, jeder und jedem von uns gelingen, dort wo wir wirkmächtig sein können, zumindest für einen atmosphärischen Klimawandel zu sorgen. Ich kann nicht dazubeitragen, dass die Supermarktkassierin mehr bezahlt bekommt – obwohl sie es verdienen würde - aber ich kann ihr für ihr aufmerksames Verhalten meine Anerkennung aussprechen. Ich versuche in öffentlichen Verkehrsmitteln jede Frau und jedes Kind mit offensichtlichem Migrationshintergrund anzulächeln und merke, wie deren Mienen sich aufhellen, weil das nicht die Art ist, wie man ihnen üblicherweise begegnet. Solch kleine Widerstandsgesten übe ich bewusst immer wieder ein. Ich spüre, wie diese alltäglichen Freundlichkeiten mir selber gut tun.
In dieser verdüsterten Welt wird uns nichts Anderes retten, als in unserem ganz persönlichen Leben dem Bösen keine Macht zu geben. Noch immer sind wir lebendige Menschen mit lebendigen Bedürfnissen nach Zuwendung. Ich vertraue darauf, dass einander gut sein und Gutes tun mehr wiegt als digitale Hetze. Der Film „Favoriten“ zeigt ganz deutlich, wie ein liebevolle und aufmerksame Lehrerin Kinder in der Schule beheimaten kann, auch wenn sie in ganz schwierigen Lebensumfeldern zu Hause sind.
Mein ganzes Erwachsenenleben bin ich davon überzeugt, dass die gesellschaftliche Veränderung zum Guten nicht an einzelnen Personen hängen bleiben darf, sondern es eine Änderung des Systems braucht. Ich neige mittlerweile aber der Ansicht zu, dass es für diese systemische Veränderungen empathische und hoffnungsvolle Menschen braucht, die den Mut haben, gegen den Strom der allgemeinen Resignation zu schwimmen und Dinge anzugehen. Viel zu lange sind wir dem Irrglauben aufgesessen, dass Konkurrenzdenken die Menschheit weiterbringt. Dieses Denken und Handeln bringt in der Mehrheit aber nur unsichere Einzelgänger hervor, die sich Trost in den sozialen Medien holen müssen, weil ihnen gemeinsames Handeln nicht als persönlicher Gewinn und wirtschaftliches Erfolgsmodell näher gebracht worden ist.
Ich hänge noch immer der Meinung meines Theologieprofessors an, dass das Böse nur ein Mangel an Gutem ist. Deshalb habe ich es mir an meinem Lebensabend zur Aufgabe gemacht, Gutes zu tun, wo immer ich Mangel spüre. Das gelingt mir, wie alles im Leben nur sehr mangelhaft, aber es stärkt mich persönlich und gibt mir Mut, gemeinsam mit anderen Menschen gegen Unrecht aufzustehen. Denn ich will mir meine Kräfte durch Miesmacherei nicht schmälern lassen – nein, meinen Hass bekommt niemand!
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.