Bitte um Verständnis, dass ich über diese atemberaubenden Vorgänge nur sarkastisch schreiben kann!
Der 24. Oktober 2024 war ein schöner Tag in Lichtenwörth. Es herrschte sonniges Wetter mit angenehmen 17 Grad, als die Polizei damit begann, das Protestcamp auf dem Acker des Biobauern Hans Gribitz abzubauen. Sein Feld wurde von den Behörden enteignet, um dem Bau einer Straße als Teil der „Ostumfahrung“ von Wiener Neustadt freie Bahn zu schaffen, so wie mehrere andere Äcker (die die AGES übrigens als die fruchtbarsten Äcker Österreichs klassifiziert), insgesamt fast 18 Hektar. Die Feuerwehr pflückte die jungen Leute herunter, die auf die angrenzenden Bäume in der Fisch-Au geklettert waren, um sie vor der Rodung zu schützen. 39 Jahre nach der Besetzung von Hainburg werden – trotz Klimakrise, trotz des dramatischen Biodiversitätsverlusts, trotz der galoppierenden Bodenversiegelung – junge Leute, die die Natur, Äcker und Aubäume schützen wollen, von einem massiven Polizeiaufgebaut genau daran gehindert, um eine Rodung und ein Straßenbauprojekt durchzusetzen.
Ein schöner Tag war es auch für den Wiener Neustädter Bürgermeister Schneeberger und Verkehrslandesrat Landbauer und alle anderen politisch Verantwortlichen, die mit der Umsetzung des Rodungsbescheids demonstrieren können: So leicht bläst man uns nicht um. Wir halten auch einem intensiven zivilgesellschaftlichen Protest stand. Ein paar irregleitete grüne Fanatiker und „Untergangsapokalyptiker“, die sich im „Autoland“ Österreich der wirtschaftlichen Dynamik und dem Fortschritt entgegensetzen, können uns nicht aufhalten. Auch wenn die Plattform „Vernunft statt Ostumfahrung“ schon seit vier Jahren alle Hebel in Bewegung setzt, um das in den 1960er Jahren geplante Straßenbauprojekt zu verhindern. Selbst wenn Bauern auf ihren Traktoren in Wiener Neustadt dagegen demonstrieren. Selbst wenn WissenschaftlerInnen sich für ein Überdenken des aus der Zeit gefallenen Straßenbauprojekts einsetzen. Selbst wenn Bischöfe dagegen aufstehen – mein Gott, welcher Christlich-Soziale nimmt denn heute noch einen Bischof ernst? Wen scheren die sozialethischen Prinzipien des Gemeinwohls, das Vorrang vor partikulären privaten Interessen hat, und der Nachhaltigkeit? Wer betrachtet das Gesamtsystem Boden wie das Wasser oder die Atmosphäre schon als Gemeingut – doch wohl nur ein paar unverbesserliche Idealisten.
Man muss eben kühlen Kopf bewahren, und auch sprachlich schlau vorgehen, wenn man heutzutage als Politiker – belagert von den Klimaschützern und Naturschützern, sogar schon von den Bauern! – etwas Vernünftiges durchsetzen will. Man nennt es „Ostumfahrung“ oder „Ringschluss“, das hat einen positiven Klang. Den Bescheid des Verwaltungsgerichtshofs vom 9. März 2022 schaut sich eh keiner an – dort wird als erstes Hauptziel für den Bau der Straße die „Erschließbarkeit von Gewerbegrundstücken“ genannt. Das ist eben männliche, rationale Politik, die nicht gleich bei jedem demokratischen Lüftchen umfällt. Das ist eben fossile Männlichkeit, die gegen diese grünen Luschis, die sich auf Bäume setzen, auftrumpft. Gäbe man einmal nach, dann kann jedes Projekt verhindert werden.
Und darum ist es auch ein schöner Tag für die Investoren der künftigen Gewerbegebiete. Zwar gibt es in Wiener Neustadt und in der Region schon eine erhebliche Dichte an Betrieben, Shopping-Malls, Supermärkten, Tankstellen, Kreisverkehren, Parkplätzen, die man verdichten, überbauen usw. könnte. Aber was soll’s: Den Marketingabteilungen wird schon etwas einfallen, wie man die Konsumenten und vor allem die Konsumentinnen dazu bringen kann, noch mehr von dem Zeug einzukaufen, das sie schon jetzt nicht wirklich brauchen. Es geht doch um den Kick, das Einkaufserlebnis, das die innere Ödnis zumindest für eine kurze Zeit zu begrünen und aufzublühen scheint - während unter der Shopping-Mall, unter dem Beton und Asphalt alles Blühende, Grüne, Fruchtbare, Lebendige auf immer tot und begraben liegt. Wenigstens beim Einkaufsakt und allein im Auto - da fühlt sich der einzelne Bürger noch mächtig, wenn er sich sonst schon so ohnmächtig fühlt in der Zuschauerdemokratie.
Ernst Fürlinger, Theologe und Religionswissenschaftler, Mitglied „Religions For Future Vienna“.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.