2015 erlebten wir etwas, was fälschlicherweise als „Flüchtlingsflut“ bezeichnet wurde, denn es war eben keine Naturkatastrophe wie eine Flut, sondern verzweifelte Menschen haben alles riskiert, um Krieg und Elend ihrer Heimatländer zu entkommen.
Die Hilfsbereitschaft und Solidarität der Österreicherinnen und Österreicher war damals unvorstellbar groß und die Menschen zeigten sich von ihrer besten Seite. Die erschöpften und verzweifelten Menschen weckten das Mitgefühl und die Hilfsbereitschaft der überwiegenden Mehrzahl der Bevölkerung. Und es war für uns ein schönes Gefühl, uns als guter Mensch fühlen zu können.
Je mehr Migranten allerdings kamen und der Alltag mit seinen vielen krisenhaften Erscheinungen wieder die Oberhand gewann, umso kritischer wurde die Einstellung gegenüber den Personen, die auf der Suche nach einem menschenwürdigen Leben bei uns stranden.
Hier angekommen, registriert und den Mühlen der staatlichen Aufnahmebehörden überantwortet sind diese Menschen zunehmend nicht mehr ein Apell an unsere Barmherzigkeit, wegen der Vielfältigkeit, die eine große Gruppe von Menschen darstellt, vielen auch ein Ärgernis.
Sie sind in den Augen vieler nicht mehr dankbar genug, sie entsprechen vielmehr dem, woraus sich Gruppen von Menschen immer zusammensetzen, aus Guten, Bösen, Fleißigen und weniger Fleißigen, Aufgeschlossenen und Reaktionären und auch kriminelle Elemente sind selbstverständlich darunter. Wessen sie jetzt bedürfen und was ihnen auf Grund der Menschenrechte zusteht, ist Gerechtigkeit, die über die persönliche Anteilnahme hinausgeht.
Für ein zivilisiertes und humanes Gemeinwesen, wie es der Sozialstaat Österreich ist, hat der Fokus auf Einhaltung der Menschenrechte, geordnete Verfahren und sinnvolle Integration ausgerichtet zu sein. Da beginnt es zu hapern. Auch die persönliche Solidarität vieler engagierter Menschen braucht nun den langen Atem der Begleitung bei Behördenwegen, Bildungsinitiativen, und insgesamt den langen Marsch durch die Institutionen.
Die Frustrationstoleranz sowohl der Aufenthalt Suchenden als auch deren solidarischer Begleitung wird immer weiter ausgereizt, vorbei ist der Zauber des Anfangs. Jetzt wäre unser Gerechtigkeitssinn gefordert, aber um den ist es nicht so gut bestellt, wie um unsere Bereitschaft, in großen Notsituationen barmherzig mit den Bedürftigen zu sein.
Denn die in der Charta der Vereinten Nationen festgelegten Menschenrechte haben zwar ihren Ursprung in dem barmherzigen Ansatz, dass gefährdete und mit dem Tod bedrohte Menschen überall sicheren Schutz bekommen müssen und nicht wie in den 1930er und 1940er Jahren Hilfesuchende massenhaft zurückgewiesen werden. Das kann aber nur durch einen sicheren, für alle gültigen Rechtsanspruch gewährleistet sein.
Und das scheint mir die Wurzel dafür zu sein, dass Menschen aus einem Gefühl des Mitleids heraus, helfen, aber mit dem Rechtsanspruch auf ein menschenwürdiges Leben nicht umgehen können. Es scheint so zu sein, als müsste man sich sein Lebensrecht erst durch Wohlverhalten verdienen.
Das hat schon das 2. Vatikanische Konzil angesprochen, wo es heißt: „Man darf nicht aus Barmherzigkeit anbieten, was schon aus Gerechtigkeit geschuldet ist“.
Ohne Barmherzigkeit wäre unser gemeinsames Leben herzlos und kalt, aber Barmherzigkeit setzt immer ein Gefälle voraus und die Gefahr einer wirklichen Falle, nämlich – ich bin gut und helfe dir – dafür erwarte ich mir Dankbarkeit. Recht und Gerechtigkeit ist hingegen ein Anspruch, den jeder Mensch einfordern kann. Mit gutem Grund leben wir in einem Sozialstaat mit Rechtsansprüchen und nicht mehr in einem Almosenstaat, wo viele auf Barmherzigkeit angewiesen sind.
Jetzt haben wir eine tatsächliche Flutkatastrophe erlebt und wieder hat es sich gezeigt, es gibt in unserem Land ein ganz großes Potential an Solidarität. Die Selbstverständlichkeit, mit der da nicht nur als Nachbarschaftshilfe zugepackt wurde, erfüllt mich mit großer Zuversicht.
Wichtig erscheint mir nur, dass dieses Gefühl des helfen Wollens sich überführen lässt, in eine längerfristige Haltung des Miteinander und Füreinander, wenn sich die unterschiedlichen Betroffenheiten und Lösungsmöglichkeiten zeigen. Denn für mich passt es nicht zusammen, dass sicher Viele, die den Flutopfern geholfen haben, am Sonntag dennoch eine Partei gewählt haben, die tendenziell menschenverachtende Ansichten vertritt und mit der Haltung – wir gegen die anderen – Stimmung macht.
Uns stehen harte Zeiten bevor. Ich erwarte mir von den politisch Verantwortlichen, dass sie eingedenk der grundsätzlichen solidarischen Haltung der Menschen in unserem Land, dieses gute Fundament verstärken. Dabei sind weniger wechselnde Gefühlslagen anzusprechen als die Verantwortung füreinander und vor allem für die Schwächeren.
Vielleicht gelingt es uns, das wärmende Lagerfeuer der Barmherzigkeit um den Anspruch zu erweitern, allen Menschen gleiche Rechte zuzugestehen. Das wärmt zwar nicht die Seele, aber es macht ein friedvolles Zusammenleben erst möglich.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.