Ein hoher österreichischer Offizier stellte vor einiger Zeit die in einer strategischen Lageeinschätzung für Österreich fest, dass unser Land kriegsfähig werden muss. Das beinhaltet hohe Militärausgaben, die Anschaffung von Waffen für den unmittelbaren Kriegseinsatz und die personelle Aufstockung des Bundesheers.
Dieses Szenario wurde von der österreichischen Bevölkerung ziemlich widerspruchslos zur Kenntnis genommen und ich frage mich, ob wir uns der Tragweite eines solchen Systemwandels bewusst sind. Die EU wurde uns unter anderem als Friedensbündnis schmackhaft gemacht und unsere Neutralität galt bis vor kurzem noch ebenfalls als ein stabilisierendes Konzept.
Seit Putins Angriff auf die Ukraine scheint alles anders zu sein. Wir leben wieder in einer geistigen Haltung, als hätte es die beiden Weltkriege nicht gegeben. Ich frage mich, ob die Eltern, die heute so fürsorglich mit ihren Kindern umgehen, diese tatsächlich in einen konventionellen Panzerkrieg schicken würden – oder wie will man sonst die vielen Kriegsgeräte benutzen und sich kriegsfähig machen, wenn nicht mit Menschen?
Sind nicht allen Kriegen militärische Aufrüstungen vorangegangen? Merken wir gar nicht mehr, wie sehr militärische Denkweise überhand genommen hat und martialische Vokabeln sich in unsere Sprache eingeschlichen haben? Haben wir der Kriegsfähigkeit bereits unsere Friedensfähigkeit geopfert?
Ja, mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist der Schützengrabenkrieg von 1916 wieder nach Europa zurückgekehrt und ja, die Ukraine hat das Recht ihr Land gegen Aggression zu verteidigen, aber man wird doch noch nach dem Blutzoll fragen dürfen, den dieser Krieg über die vorwiegend armen Menschen bringt. Und nein, die Menschen in der Ukraine sollen nicht von einem diktatorischen Regime beherrscht werden, aber gibt es keine andere Lösung als das Ausbluten einer ganzen Nation? Und wie leben wir nachher in Europa weiter, denn Russland ist ein geografischer und geopolitischer Faktor, den niemand von der Landkarte verschwinden lassen kann – und auch in Russland trauern Mütter um ihre Kinder.
Für mich bleibt die Frage, wann die Hassspirale sich unaufhaltsam zu drehen begonnen hat und wo sie noch hätte gebremst werden können. Das sind allerdings Fragen, die keine Militärs beantworten können, sondern nur Friedensforscher. Diese sind es auch, die bei Waffenstillstandsversuchen strategisch beraten können, aber die werden ja nicht gefragt, sie bekommen für ihre Forschung im Vergleich zum Militär nicht einmal Almosen.
Viel gefährlicher als das militärische Personal sind derzeit aber die schwarz-weiß malenden, die öffentliche Meinung anfeuernden Propagandisten der Konflikte. Sie streben nach Vernichtung des Gegners, sei es im Ukraine Krieg oder im Nahen Osten. Gegen diese kriegstreiberische Stimmung bräuchten wir dringend deeskalierende Stimmen, aber diese sind kaum zu hören. Gerade in unserer von negativen Emotionen beherrschten Zeit, müsste aber alles getan werden, um nicht kriegs- sondern friedensfähig werden. Es geht nicht darum, wie können wir uns Aggressoren entgegen stellen, sondern wie verhindern wir, dass sie so mächtig werden. Sowohl der Einmarsch der russischen Truppen, als auch der Überfall der Hamas waren in einer gewissen Weise vorherzusehen. Die Gewaltspirale wurde immer weiter gedreht und niemand hat Einhalt geboten.
Mir stellen sich angesichts der verzweifelten Situation viele Fragen, auf die die eindimensionalen Gerechtigkeitsfanatiker mir bis jetzt noch keine Antwort geben konnten:
Wie ist es möglich, dass wir den Mond und demnächst auch den Mars erobern, aber in unseren zwischenmenschlichen Konfliktlösungskompetenzen seit der Steinzeit nichts dazu gelernt haben?
Wozu all die Sensibilisierungsversuche für unser alltägliches Miteinander in Friedenszeiten, wenn wir im sogenannten Ernstfall in die uralten Rollenmuster zurückfallen?
Wie geht man mit einem gewalttätigen Despoten um, der sein Land unterdrückt, ohne sich in eine eskalierende Kriegsfalle locken zu lassen? Wie mit einer zur Vernichtung des Gegners bereiten Terrororganisation? Gibt es keine andere Lösung, als sich auf die gleiche gewalttätige Stufe zu stellen? Und was ist dann?
Hat jemand die Kinder, die jungen Soldaten, die Frauen, die alten Menschen gefragt, ob sie für eine vorgebliche Gerechtigkeit sterben wollen?
Welche zu verteidigenden Werte sind das Ausmaß der Zerstörung wert, das wir erleben? Verlieren jene, die vordergründig um Recht und Gerechtigkeit kämpfen nicht auch ihre Humanität und welche Werte bleiben noch?
Kann es in dieser Situation je Sieger geben? Oder sind die Rüstungskonzerne und Waffenlobbyisten die einzigen, die als Sieger überbleiben?
Wer von denen, die so selbstgewiss ihren Standpunkt vertreten, ist bereit, ebenfalls in die Schützengräben zu gehen?
Wie kann ein zivilisiertes Leben nach diesen infernalischen Kriegen wieder möglich werden?
Wird unser Denken zunehmend von einer Kriegslogik beherrscht, bei der nicht nur die Wahrheit, sondern auch die Zivilisation auf der Strecke bleibt?
Ich erwarte mir auf diese Fragen keine Antworten von den Militärs und auch nicht von den Kriegsparteien, aber ich wünsche mir, das öffentlich darüber gesprochen wird, denn ich bin sicher nicht die Einzige, die sie stellt.
Noch warte ich vergeblich auf mäßigende Stimmen, ich warte vergeblich, dass Friedensforscher in den Medien zu Wort kommen, ich warte vergeblich, dass Diplomaten, deren Handwerk ja die Vermittlung ist, in der sogenannten „Staatengemeinschaft“ mehr Gewicht bekommen, ich warte vergeblich darauf, dass die Verantwortlichen in den Religionsgemeinschaften ihre Stimmen erheben. Gab es da nicht einmal einen interreligiösen Dialog?
Ein kleiner Funken Hoffnung flammte für mich am Weltgebetstag der Frauen auf. Sie haben mit ihren Gottesdiensten die gleichzeitig in allen Teilen der Welt abgehalten wurden, ein Band des Friedens geknüpft. Ich vertraue darauf, dass diese Sehnsucht nach Frieden auch außerhalb der Gotteshäuser Wirksamkeit entfaltet.
Die große Friedens-Geste und Initiative der verantwortlichen Männer in den Religionsgemeinschaften blieb bisher allerdings aus. Außer dem Papst meldet sich niemand zu Wort. Somit verkommt das „Gehet hin in Frieden“ am Ende unserer Gottesdienste zu einer reinen Floskel.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.