Es ist ein gesegneter Nachmittag. Eine gute Gelegenheit, sich aufzumachen. Eine wunderbare Gelegenheit, Mut zu fassen, weil angesichts der Weltlage im Großen wie im Kleinen wird einem schon ziemlich mulmig. Wird alles schlechter. Sollen wir uns nicht zurückziehen? Sollen wir nicht aufgeben? Nein, das ist keine Möglichkeit für uns als Christen. Das ist keine Option.
Unsere Option ist die, in all dem, Menschen Mut zum Leben zu machen. angesichts der Ohnmacht, die uns befallen kann. Der Ohnmacht, die uns lähmt, die uns daran hindert, wirklich mehr die Realität wahrzunehmen, die uns daran hindert, in all dem, was wirklich das menschliche Leben trägt, zu wachsen und voran zu schreiten, im Vertrauen, in der Zuversicht, in all dem, was wir brauchen an mitmenschlicher tätiger Hilfe, in all dem, was unser menschliches Zusammensehen erst richtig glänzend macht. Gerade angesichts von Notlagen, gerade angesichts von riesigen Krisen, von der Unsicherheit, wie die Welt weitergeht.
Dass Menschen einander zum Wolf werden können, einander zum Beute reißenden Untier, das erleben wir tagtäglich in den Nachrichten. Und wenn wir es ehrlich zugeben, passiert das sogar in unserer unmittelbaren Nähe, wo wir die Gemeinheit, den Zorn, die Eifersucht, den Egoismus, all die Bosheit immer wieder auch erkennen und uns eingestehen müssen, jeder von uns ist in schlechten Voraussetzungen, in schlechten Stimmungen zu allerhand Blödsinn fähig.
Wir sind nicht nur auf dem Weg der Heiligkeit, enthoben der Wirklichkeit unterwegs. Nein, wir sind auf dem Boden der Straßen dieses Landes unterwegs und da ist es oft staubig, da funktioniert das ein oder andere nicht so, wie wir es uns vorstellen. Da ist vieles nicht so klar, und da drückt der Schuh, da spüren wir das Kreuz, da spüren wir die Nerven, da kann so manches uns den Weg beschwert machen.
Aber dort, wo der Weg schwerer wird, heißt es, nicht aufzugeben, sondern gerade dort sollen wir nicht aufhören zu Gott zu rufen: „Hab Erbarmen mit mir, Jesus! Hab Erbarmen mit mir, mit meiner Familie, mit meinem Arbeitsplatz, mit all meinen Nachbarn, mit unserer Pfarrgruppe, mit der Männergruppe, mit all dem, wo wir in einer katholischen Männerbewegung unterwegs sind oder als Kirche unterwegs sind in einer Gesellschaft, die es uns nicht automatisch von Jahr zu Jahr leichter macht, sondern alles immer komplexer, immer schwieriger zu werden scheint.“
In all dem sind wir unterwegs und unsere Aufgabe als Männer und Frauen in unserer Gesellschaft heißt nicht die Ohnmacht vergrößern, darüber zu jammern, es schlecht zu reden, sondern wir sind berufen, Mutmacher füreinander zu sein. Wenn Jesus selbst jeden Einzelnen von uns ruft, ermutigt er uns als Gruppe, als Kirche, macht jedem Menschen Mut.
Liebe Brüder und Schwestern, wir brauchen Mutmacher, wir brauchen Männer und Frauen in unserer Kirche, in unserer Gesellschaft, die bereit sind, anderen etwas zuzutrauen, nicht nur schlecht reden, nicht nur das halb leere Glas bejammern, nicht nur Unglückspropheten.
Nicht Menschen, die sagen, es ist sowieso bald alles aus, wir sehen keine Option mehr, wir sehen keine Option für die Zukunft, wir sind die letzte Generation. Ihr seid alle Beweis, dass wir nicht die letzte Generation sind. Die meisten von euch haben Kinder, viele haben Enkelkinder, wir haben Gott sei Dank Nachwuchs in den verschiedenen Bereichen unserer Kirche und Gesellschaft. Gott sei Dank vertrauen wir darauf, dass es Zukunft gibt.
Aber dazu braucht es Mutmacher und Mutmacherinnen, dazu braucht es Männer und Frauen, die sagen zu jedem Einzelnen in seiner betrüblichen Lage: „Sei dir sicher! Steh auf! Brich auf! Finde dich nicht ab mit all den Hiobsbotschaften! Lass nicht zu, dass sie Macht über dich gewinnen, sondern nimm der Ohnmacht ihre Macht“, wie Melanie Wolfers in einem ihrer Bücher als Titel schreibt und uns die Haltung der Zuversicht ans Herz legt.
Die Haltung der Zuversicht, die eine Kraft ist, die an das Morgen glaubt, die an die nächste Generation glaubt, die verlässlich und geduldig daran arbeitet, dass nicht die Lawine des Bösen über uns einher rollt und alles zunichtemacht, sondern wir Tag für Tag neu an dieser nächsten Generation und an der übernächsten Generation weiter bauen.
Hab nur Mut, steh auf, brich wieder auf und sei dir sicher, du bist auch ein Berufener, du bist auch eine Berufene, du bist ein Mensch, der von Jesus den Ruf erhält. Mache dich auf, mit Mut! Fokussiere die Realität. Lass dich nicht niedermachen dadurch und dort, wo du nichts ändern kannst.
Unterscheide es genau von den Dingen, die du doch ändern kannst, wo du an deiner inneren Haltung bauen kannst, wo du dich Tag für Tag erneuern kannst. Und wenn gestern alles schief gegangen ist, ist heute ein neuer Tag, wo ich beginnen kann, im Mut, im Vertrauen, dass Gott mich ruft, weiterzubauen.
Der große Satz ist uns nicht direkt vor Augen. Bischof Helmut hat „im Sprung gehemmt“ geschrieben darüber, was jetzt, vielleicht doch im Synodalen Prozess in all dem, was die Bischofssynode an neuer Gesprächskultur in Rom gebracht hat, auch überschwappen wird in unsere Pfarren, in unsere Diözesen.
Vielleicht wird es da ein besseres Neues aufeinander zuhören geben. Wird es nicht nur das geben, wo wir einander unsere Meinung um die Ohren schlagen, sondern bereit sind, mit dem anderen einmal mitzudenken, seine Argumente abzuwägen und wirklich etwas zu wagen. Wo wir mit Mut auch von unserer eigenen eingefrorenen Position einmal Abschied nehmen müssen.
Und wenn ich mir auch vor 40 Jahren, während des Studiums, vorgestellt habe, die Reformgeschwindigkeit in der Katholischen Kirche geht ein bisschen schneller voran, so sind doch jetzt das eine oder andere zu erkennen, was noch vor Jahren unsagbar blieb, was nicht denkmöglich schien, wo wir in eine Richtung weitergehen und wo unser wunderbarer Papst Franziskus mit seinen 86 Jahren uns in einer Vehemenz und Entschiedenheit vorangeht, die uns allen einmal gut anstehen würde, wenn wir in gesetzteres Alter kommen.
Liebe Brüder und Schwestern, es ist nicht selbstverständlich, dass wir Mut fassen. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir uns getrauen, wirklich aufzustehen.
Aber wir, die wir jetzt uns auf den Weg gemacht haben, haben den Ruf Jesu gehört. Wir sind aufgestanden. Wir haben uns auf den Weg gemacht. Wir wollen etwas gegen die Ohnmacht tun. Wir wollen der Ohnmacht ihre Macht nehmen. Und wir vertrauen auf eine Kraft der Zuversicht, die an das Morgen glaubt, an die nächste Generation, an die übernächste Generation.
Wir glauben daran, dass wir mit all dem, was wir an Fähigkeiten und Talenten haben, mutig an einer neuen Kirche, an einer neuen Gesellschaft mitbauen dürfen, die nicht von Hass und Intoleranz geprägt ist, die nicht von all dem geprägt ist, was unsere Vergangenheit belastet hat, sondern neu in die Zukunft aufzubrechen wagt.
Wir müssen wachsam sein bei den kleinen Dingen, wo der andere, das Gegenüber verunglimpft wird, wo er böse genannt wird, wo wir einander den Tod sogar wünschen hören und wirklich wie erschüttert sind, was da möglich ist.
Wir müssen auf der Grundlage der großen drei abrahamitischen Religionen alles tun, um dagegen klar Kante zu zeigen, aufstehen und zeigen, dass Hass und Intoleranz mit uns nichts zu schaffen hat, dass wir klar mutig auch Farbe bekennen, gemeinsam mit unseren gläubigen Schwestern und Brüder aus dem Judentum und aus dem Islam.
Liebe Brüder und Schwestern, wir dürfen Mut haben. Wir dürfen Mut zeigen in all dem, wo jede Form der Verächtlichmachung, der Gewalt, des Terrors, wieder neu mitten in unserer Gesellschaft nach uns greift und wo wir nicht mitheulen mit den Wölfen, dass wir einfach dreinschlagen, sondern Argumente suchen, die dem Frieden, der Versöhnung und dem dient, dass wir gesellschaftlich miteinander auskommen.
Liebe Brüder und Schwestern, wir dürfen Mut haben. Wir dürfen Mut zeigen, weil Jesus uns gerufen hat. Und wir alle füreinander die Funktion, die Aufgabe und Berufung haben, einander zuzusprechen: „Hab Mut, steh auf, mach' dich auf, probier's wieder. Er ruft dich. Du bist auch ein Berufener.
Du bist einer, der eine Aufgabe zu erfüllen hat in deinem kleinen Kreis, deiner Familie, deinem Arbeitsplatz, deiner Gruppe, deiner Pfarre, deiner Bewegung. Überall sollst du hören, dass er dich ruft, in deiner Berufung und Aufgabe für das einzutreten, was dem Leben dient. Nimm der Ohnmacht ihre Macht und vertraue auf die Kraft der Zuversicht, die an das Morgen glaubt.“ Darin wollen wir uns gegenseitig bestärken.
Dompfarrer Anton Faber
Der Text ist der Auschnitt aus der Predigt, die er bei der Diözesan-Männerwallfahrt 2023 in Klosterneuburg gehalten hat. Die vollständige Predit kann man hier anhören ...
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.