Bei uns ist von PolitikerInnen immer wieder zu hören, dass man Tempo 100 nicht einführen könne, weil es in der Bevölkerung keine Mehrheit dafür gebe.
Vielleicht liegt es zum einen daran, dass es auch die Mehrheit der PolitikerInnen ist, die nicht hinter dieser Forderung steht. Wer will schon die Mehrheit der autofahrenden Wählerschaft verärgern?
Und zum anderen liegt es möglicherweise daran, dass von dieser Seite nicht ausreichend informiert wird, warum das dringend notwendig wäre. Es hat den Anschein, dass die Mehrheit der Politikerinnen davon auszugehen scheint, dass wir im Großen und Ganzen so weitermachen können wie bisher.
Folglich ist auch die Mehrheit der Bevölkerung nicht informiert. Einige wesentliche Aspekte, weshalb Maßnahmen gegen die Klimakrise von so großer Notwendigkeit sind, sollen hier genannt werden. Vielleicht entsteht dann nach und nach eine Mehrheit in der Zivilbevölkerung, die einfordert, was Politikerinnen sich nicht einzuführen wagen.
Dass es durch die Verbrennung von Erdöl, Kohle und Erdgas zu einer noch nie dagewesenen Erderhitzung kommt, ist mittlerweile weithin bekannt, weniger bekannt ist die Tatsache, dass die steigenden Temperaturen ihrerseits Prozesse in Gang setzen, die sich selbst verstärken – man nennt das Klimarückkopplungsschleifen oder Feedbackloops.
Drei davon sollen hier kurz dargestellt werden.
Der Feedbackloop des schmelzenden Eises:
Eis und Schnee am Nordpol und am Südpol reflektieren bis zu 85% des Sonnenlichtes zurück ins All. Das hat einen kühlenden Effekt.
Die durch die Emission fossiler Brennstoffe verursachte Erwärmung lässt die Polkappen schmelzen. Es kommt zu einer Wärme-Rückkopplungsschleife: Je wärmer es wird, desto schneller schmilzt das Eis, desto weniger Sonnenlicht kann reflektiert werden, was wiederum dazu führt, dass die Erderhitzung schneller voranschreitet.
Der Feedbackloop der Permafrostböden
Taut der Permafrostboden auf – und er tut dies schneller als erwartet – tauen mit ihm auch winzige Mikroben auf, die sich am getauten Kohlenstoff bedienen; bei diesem Vorgang werden Kohlendioxid und Methan in die Atmosphäre abgegeben. Da Permafrost eine enorme Menge Kohlenstoff enthält, kommt es zu einem Feedbackloop: Erwärmen, Tauen, mehr Treibhausgase und dadurch weiteres Erwärmen und weiteres Auftauen und so weiter…
Der Feedbackloop der verschwundenen Bäume
Bekannterweise filtern Bäume Kohlendioxid aus der Luft und haben so einen kühlenden Effekt auf die Erde. Je mehr Wälder für Industrie und Landwirtschaft – allen voran Futtererzeugung für die Massentierhaltung – abgeholzt werden, desto weniger können sie diese Aufgabe übernehmen.
Die durch die Erderhitzung entstehenden Dürreperioden schwächen Bäume und machen sie anfälliger für Insektenbefall – sie sterben ab. Darüber hinaus kommt es zu intensiveren und häufigeren Waldbränden. Dieses „Waldsterben“ heizt die Atmosphäre weiter auf, was wiederum zu weiteren Baumverlusten führt…
Um zu verdeutlichen, wie sehr sich schon eine scheinbar minimale Temperaturerhöhung von 1,1 Grad auswirkt, bei der wir momentan stehen, können wir an den Ereignissen allein in diesem Sommer sehen. Berichte über monatelang andauernde verheerende Waldbrände in Kanada. Eine Hitzewelle im Juni und Juli mit extremen Temperaturen von bis zu 46 und 48 Grad in Südeuropa. Überflutungen mit unzähligen Murenabgängen in Kärnten, der Steiermark und Slowenien,
Überflutungen auch in Kalifornien und Griechenland. Im Süden Europas sind dermaßen viele Gebiete Bränden zum Opfer gefallen, dass sich Tourismusveranstalter schon nach Destinationen im Norden umsehen.
Und wir sind noch nicht einmal bei den 1,5 Grad, die bisher zurecht als Grenze der noch irgendwie zumutbaren Erderhitzung ursprünglich angestrebt worden waren und die mittlerweile, wie der IPCC feststellt nicht mehr erreichbar sind.
Wenn das Wissen über diese Vorgänge und diese Zusammenhänge einer Mehrheit wirklich bekannt wäre, gäbe es dann diese Mehrheit für Tempo 30 – 80 – 100?
Und anders formuliert: Um die Menschheit vor den verheerenden Folgen der Erderhitzung zu schützen, ist es da noch vertretbar auf Mehrheiten zu warten?
Denn das Wort Klimakrise verschleiert gewissermaßen die Tatsache, dass es sich vielmehr um eine Menschheitskrise handelt.
Angesichts dessen wären noch viel drastischere Maßnahmen notwendig. Die Temporeduktion wäre ein schnell umsetzbarer Schritt, der CO2-Emissionen einsparen würde – wenn man nicht auf Mehrheiten warten würde.
Und angesichts dessen brauchen wir eine Mehrheit an Menschen, die sich umorientieren, zu grundsätzlich anderen Mobilitätskonzepten und PolitikerInnen, die zumindest eine Infrastruktur bereitstellen, die einen Umstieg ermöglicht.
Und vielleicht auch können wir - kann jeder einzelne in seinem Umfeld - durch das eigene Vorbild, durch die Weitergabe von Wissen, dabei mitwirken, Mehrheiten zu etablieren für einen zukunftsfähigen Lebensstil. Das impliziert auch, im eigenen Mobilitätsverhalten Neues auszuprobieren. Vielleicht lässt sich dabei entdecken, dass die Lebensqualität sich sogar verbessert, wenn Wege mit dem Rad zurückgelegt werden und dabei bereits eine wohltuende Bewegung erlebt wird oder bei einer Zugfahrt die Zeit für entspanntes Lesen genutzt werden kann.
Renate Delpin, Pfarre Aspern
Leiterin des Ausschusses für Schöpfungsverantwortung
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.