„Tempo senken – Leben retten“ und die Kinderrechte
Der öffentliche Raum muss wieder zu einem lebenswerten und sicheren Bereich für alle Menschen werden. Besonders für Kinder.
Kinder haben als besonders vulnerable Gruppe Rechte. Niemand in Österreich bestreitet das. Die Kinderrechte sind seit 2011 in der österreichischen Verfassung verankert:
Artikel 1: Jedes Kind hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für sein Wohlergehen notwendig sind, auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung sowie auf die Wahrung seiner Interessen auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit. Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein.
Aber gerade in der Verkehrspolitik stellt sich die Frage: Wo bleiben Schutz, Fürsorge und Kindeswohl-„vorranging“, wie es im Art. 1 BVG geschrieben steht?
Die Statistik Austria gibt für 2022 die Zahl der bei Verkehrsunfällen verletzten Kindern mit 2.689 an. Insgesamt 13 Kinder starben durch Verkehrsunfälle.
Womit wir nun buchstäblich bei der Initiative: „Tempo senken – Leben retten“ wären.
Straße ist auch Lebensraum
Oft dominieren die Interessen der Autofahrer alle anderen Interessen. Das Durchfahren einer Straße ist für den Autolenker in wenigen Augenblicken vorbei, für die Bewohner hingegen bedeutet es Risiko, Lärm und Dauerstress täglich 24h, das ganze Jahr hindurch. Kinder und auch ältere beeinträchtigte Menschen kommen zu Schaden.
1. Lärmbelastung / Gesundheitsschädigung
Dass Lärm eine erhebliche Belastung für die Gesundheit von Menschen darstellt, ist wissenschaftlich seit Jahren belegt. So reichen die Gesundheitsprobleme, die Lärm verursacht von Stress-Symptomen, Konzentrations- und Schlafstörungen, bis hin zu Blutdruckerhöhung. Sie können ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen darstellen.
2. Zwang zu klimafeindlicher Mobilität mit Auto
Oft sind Menschen praktisch gezwungen, alle Wege mit dem Auto zu verrichten. Die Abhängigkeit vom Auto wird für das heranwachsende Kind zur Normalität. Noch gefährlicher ist aber die Auswirkung auf das kindliche Gewicht und Bewegungsverhalten. Elterntaxis wurden u.a. als Ursache für den steigenden Bewegungsmangel und die Entwicklung von kindlichem Übergewicht identifiziert. Die Zunahme der kindlichen Adipositas hat in den vergangenen Jahren dramatische Ausmaße erreicht. Die Folgeprobleme sowohl im körperlichen, im sozialen wie im seelischen Bereich sind vielfach belegt.
Wie sollen Eltern nun entscheiden, wenn das Risiko auf der Straße aber hoch ist, einen Unfall zu erleiden?
3. Psychosoziale Gesundheit / Gemeinschaft
Allgemeiner Konsens ist, dass Gesundheit nicht nur körperlich definiert wird, sondern auch eine psychische und soziale Dimension beinhaltet. Dazu gehören Begegnung, Vertrauen, Kommunikation, Unterstützung und Bindung untereinander.
Genau dort wirkt sich der Verkehr zerstörerisch aus:
In vielen Straßen ist es nicht einmal möglich, auch nur ein kurzes Gespräch quasi „über die Gasse“ zu führen, es wird regelmäßig in Kürze durch Lärm und mögliche Gefährdung unterbunden. Die für eine Gemeinschaft wichtigen Zufallsbegegnungen im Alltag finden nicht mehr statt. Straßenseitige Fenster müssen – auch im Sommer – wegen des Straßenlärms und der Staubbelastung geschlossen bleiben.
Natürlich braucht es dann auch eine attraktive Gestaltung dieser Lebenswelt, mit Grünpflanzen und Bäumen, Schattenspendern und sicheren Begegnungsmöglichkeiten. Das hilft der psychosozialen Gesundheit der Einzelnen und der Nachbarschafts-Gemeinschaft im Besonderen.
Der öffentliche Raum muss wieder zu einem lebenswerten und sicheren Bereich für alle Menschen werden. Dass die Regelgeschwindigkeit im Ortsgebiet auf 30 km/h reduziert wird, - und diese auch kontrolliert wird, bzw. durch bauliche Maßnahmen begleitet wird - ist ein erster wichtiger Schritt dazu.
Positives Beispiel in Wien:
Dr.in Lilly DAMM ist Vorsitzende von Childadvocacy / Colloquium – Österreichische Gesellschaft zur Förderung von sozial- und gesundheitswissenschaftlicher Forschung www.childadvocacy.at - lilly.damm@childadvocacy.at
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.