Mit der Kampagne „Entschleunigung!“ kommt zum Ausdruck, wie und wohin sich eine Gesellschaft bewegen kann, deren Ziel nicht der möglichst rasche kollektive Selbstmord ist, sondern das Leben für alle, ein Leben in Fülle.
Der in der Geschichte Israels erfahrene Gott ist ein Gott der Gemeinschaft. Zwei Grundweisen der Gotteserfahrung prägen das biblische Gottesbild:
a) der Gott der Gruppe, des Stammes, des Volkes
Was die Einzelnen in der Stunde der Not nicht auseinanderdriften lässt (Rette sich, wer kann!), sondern sie bewegt, zusammenzuhalten, aufeinander ein- und zuzugehen, einander anzunehmen, heißt im Alten Orient „El“ in der Bedeutung von „das einen unbedingt Angehende“; auf Deutsch „Gott“.
b) der Ortsgott
Dahinter steht die Erfahrung des besonderen/heiligen Ortes (eine Quelle, ein Baum, Felsen; auch ein Mensch [Jesus!], zu dem unterschiedslos alle kommen können, und der einheitsstiftend wirkt. Solche „Orte“ werden im Alten Orient zu Orten der Rechtsprechung, Verkündigung von Gesetz und Recht. Da weiß man einfach, „was man (nicht) tut“ – sonst würde die Gemeinschaft auseinanderbrechen. Ein Sich-Vergreifen am heiligen Ort heißt Frevel.
Biblische Prophetie
Jenes Volk, dass diese Gotteserfahrung und die darin gegründete Verantwortung auch ins Staatswesen übernahm – als einziges im gesamten Alten Orient und daher bis heute noch bestehend – ist Israel. Alle anderen (Groß-)Reiche fielen der staatlichen Eigengesetzlichkeit (Produktion, Güterbeschaffung, territoriale Erweiterung) zum Opfer und endeten in resignativer Selbstaufgabe. In Israel aber etablierte sich ein Prophetentum: das Amt des Propheten/der Prophetin besteht in der Dreinrede gegen die auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Planungen des Staatsmannes/der Staatsfrau im Namen JHWHs. Seit Israel unter König David Staat wurde, erhielt JHWH auch die Bezeichnung „Elohim“ in der Bedeutung von „Überrettergott einer weltweiten Solidargemeinschaft“ – programmatisch bereits im 1. Satz der Bibel vorangestellt!
Kirche und Zivilgesellschaft
Von daher ist klar, dass eine Gesellschaft, die sich als von Gott gegründet versteht, grundsätzlich (gar) keine Gebote und Verbote bräuchte. In ihr ist selbstevident, wie sich jede/r gegenüber allen verhält: rücksichtsvoll, auf das Ganze, aufs Gemeinwohl bedacht. In solch einer Gemeinschaft kommt es selbstverständlich niemandem auch nur in den Sinn, zu morden, lügen, stehlen, anderen den öffentlichen Raum wegzunehmen, Mist in der Natur zu deponieren, zu lärmen, Luft, Wasser und den Boden zu vergiften.
Aber diese (wahren!) Menschen begnügen sich nicht bloß damit, selber sozial verträglich zu handeln, sondern sie setzen sich auch aktiv für diejenigen ein, deren Lebensmöglichkeiten von anderen beeinträchtigt werden, sowie für die, denen Mitmenschlichkeit persönlich fremd und kein Anliegen ist, damit auch sie zur „Freiheit der Kinder Gottes“ finden.
Ein Weg dazu ist die Kampagne „Entschleunigung!“ der KA. In ihr kommt zum Ausdruck, wie und wohin sich eine Gesellschaft bewegen kann, deren Ziel nicht der möglichst rasche kollektive Selbstmord ist, sondern das Leben für alle, ein Leben in Fülle.
Das Leben und den Tod habe ich vor dich hin gegeben,
die Segnung und die Verwünschung,
wähle das Leben, damit du lebst, du und dein Same!
(Deut 30,19 in der Übersetzung von Martin Buber)
Roland Zisser, studierter Theologe und Germanist, unterrichtet „Deutsch als Fremdsprache“ in Wien. Sein vorrangiges Interesse gehört aber der Bibelexegese. Ehrenamtlich ist er in der Pfarrgemeinde und im Bereich Umweltschutz aktiv.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.