Im Sprung gehemmt
Wie anders stünde die österreichische Kirche da, wäre er zum Nachfolger Kardinal Königs als Erzbischof von Wien ernannt worden. Statt ihm wurde ein dubioser „Wallfahrtsdirektor“ mit diesem Amt betraut. Unter den Folgen dieser Kür leidet die österreichische Kirche noch heute. Es wurde nie offen darüber diskutiert, aber natürlich wurde Helmut Krätzl, der Kirchenmann mit dem großen Horizont, von engstirnigen rechtskatholischen und rechtspolitischen Intriganten verhindert, die nicht verwinden konnten, dass sich Kardinal König allen Österreicherinnen und Österreichern zugewandt hatte – ja, auch der Gewerkschaft und den sozialistischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern.
Mit der Wahl des von den herrschenden „Realsozialisten“ in Polen geprägten Karol Woityla zum Papst, war eine Stimmung in der Weltkirche eingetreten, die hinter jeder Kritik der herrschenden Machtverhältnisse eine kommunistische Verschwörung sah. So wurden die empfindlichen Pflanzen des Konzils, die eine sorgfältige Hege und Pflege gebraucht hätten, um Früchte tragen zu können, dem Verdorren preisgegeben und es kehrte weltweit ein Geist der Gegenreformation ein. Die lateinamerikanische Befreiungstheologie wurde diskreditiert und ihre Vertreter und Vertreterinnen hatten mit massiven Restriktionen zu kämpfen. Eine ganze Generation von Priestern, die sich vom Konzil viel erwartet hatten, kämpfte zwar heldenhaft weiter, aber viele schieden aus dem Amt, oder verfielen in Depression. Das Sagen hatten jetzt andere.
Ich habe das alles als Funktionärin der Katholischen Frauenbewegung miterlebt. Die unsäglichen Bischofsernennungen Krenn, Eder, Laun, Küng, die Klerikalisierung der Pfarrgemeinderatsordnung. Das Abwürgen der eigenständigen kirchlichen Laienbewegungen, die massive Förderung von pfingstlichen Erneuerungsbewegungen. Die Kirche ging den Weg von der Nachfolge Jesu Kirche zu einer Anbetung Gottes Kirche. All das machte uns Frauen in der Kirche massiv zu schaffen. Wären da nicht Menschen wie Helmut Krätzl gewesen, die ausharrten, Mut machten und sich auf die Seite der weltoffenen Menschen in der Kirche stellten, viele von uns hätten nicht ausgeharrt.
War es also für uns, die wir mit und in dieser Kirche lebten, aber dennoch viele andere Aufgaben hatten, die uns forderten, schon schwer, wie bedrückend muss die Situation erst für Helmut Krätzl gewesen sein. Er wusste, was alles möglich gewesen wäre, er hatte eine Vorstellung von Kirche, die sich den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gestellt hätte, dennoch hielt er dieser Kirche die Treue. Überall dort, wo er Einfluss hatte, setzte er seine Zeichen, er hielt durch. Seine Stimme blieb bis zuletzt trotz seiner körperlichen Gebrechlichkeit stark – er hatte was zu sagen. Wenn offene und freie Menschen der Kirche trotz allem noch immer die Treue halten, so ist das auch Helmut Krätzl zu verdanken. Ich bin zutiefst traurig, dass er gestorben ist. Aber solange Gemeinden miteinander und füreinander in der Nachfolge Jesu dafür kämpfen, dass unsere Welt ein Stück menschlicher und gerechter wird, hat es sich für ihn und uns alle gelohnt, dass Helmut Krätzl dieser Kirche trotz allem treu geblieben ist und auch uns Mut gemacht hat. Ihm wäre ein anderer Platz in dieser Kirche zugestanden und viele von uns hätten ihn dort dringend gebraucht. Das was er für die Kirche bedeutet hat, wird sich sicher noch zeigen, darum möchte ich ihn zu uns Lebenden hereinnehmen und wie die Menschen in Lateinamerika sagen „Helmut Krätzl presente“.
Der Kommentar ist die persönliche Meinung der Autorin/des Autors und muss nicht mit der Meinung der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien übereinstimmen.