Diese Karikatur ist unterste Lade
27. Oktober – 31. Oktober
Nun ist Corona wirklich mit größerer Wucht als beim erstenmal zurück. Das macht Angst, weil ja doch von den meisten Menschen Regeln eingehalten werden, die es im Frühjahr ganz einfach noch nicht gab – und dennoch. Ich bin ganz einfach müde und dünnhäutig geworden. Alles bringt mich auf die Palme, vor allem lächerliche Schikanen, wie z.B. dass ich zwei Strafmandate bekommen habe, weil ich mit meinem Auto auf dem eingezeichneten Parkplatz vor der Haustür ca. 20 cm außerhalb der Bodenmarkierung gestanden bin – noch dazu mit einem Behindertenausweis im Auto und angesichts einer Bodenmarkierung, die nicht einzuhalten ist, weil sie viel zu schmal ist, da sie an eine Gartenmauer grenzt und man nur mit dem Risiko diese Mauer zu touchieren regelkonform einparken kann. Auf meine Beschwerde erntete ich nur die lapidare Antwort, dass diese Strafe zurecht erfolgte.
Mein Mann hat nach seiner Operation Beschwerden, aber sein Arzt rät davon ab, das Spital aufzusuchen, weil das für ihn unter den derzeitigen Bedingungen enorm belastend wäre.
Ein zweiter Lockdown hängt in der Luft. Unser jährliches Fest anlässlich des Geburtstags meines Mannes muss die Großfamilie in fünf Tranchen feiern. Die Whatsapp-Gruppe ist der einzige Ort, wo wir noch alle zusammenkommen. Also bei aller digitalen Skepsis, ohne diese Möglichkeiten wäre alles noch viel härter.
Nach der Tötung des französischen Lehrers durch einen jungen Islamistischen Terroristen, wurden jetzt in einer Kirche in Nizza drei Menschen ermordet. Es ist so grauenhaft zu erleben, wie wurzellose junge Menschen aus vorgeblich heiligen Motiven grauenhaft archaisch morden. Sie verkehren den spirituellen Auftrag der Weltreligionen in sein Gegenteil und geben ihr Leben hin für den Tod ihrer Feinde. Ich hoffe es gelingt das Netzwerk der eiskalten Hintermänner, die diese jungen Menschen in Todesmaschinen verwandeln, weltweit auszuheben, auch wenn man es sich dabei mit den wahabitischen Saudis verscherzt.
Mit all diesem Wissen getraue ich mir kaum zu sagen, dass ich die Karikaturen von „Charlie Hebdo“ abscheulich finde. Differenzierung ist derzeit schwer möglich, dabei wäre gerade das so dringend nötig. Mit dem „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich“ kommen wir nicht weiter. Deshalb: Ich finde die Karikatur von Erdogan, wie er den Rock einer Frau lüftet und mit einem Sektglas in der Hand lüstern ihren nackten Hintern begafft, widerwärtig. Diese Karikatur hat nichts mit dem zu tun, was dieser Mann in seinem Land und weltweit an Unheil anrichtet – sie ist unterste Lade.
Und wenn ich das gesagt habe, so sage ich gleichzeitig, ja, sie sollen das zeichnen, wenn sie es für sinnvoll halten, aber wir sagen, was wir davon halten. Und dass sie das drucken dürfen, muss verteidigt werden und das Leben dieser Karikaturisten darf nicht gefährdet sein, aber ich will, dass das reflexartige undifferenzierte Partei ergreifen, von einer Auseinandersetzung über Ethik und Qualität abgelöst wird. Sonst landen wir um der Freiheit der Kunst willen wieder bei den Karikaturen der hakennasigen jüdischen Geldeintreiber und dass das nicht sein kann, haben wir ja geklärt, Kunst hin oder her.
Belesene Menschen werden mir jetzt Kurt Tucholskys Statement „Satire darf alles“ entgegenhalten. Ich bin ganz seiner Meinung, aber da muss zuerst einmal geklärt sein, was Satire ist. Um satirisch schreiben, vortragen oder zeichnen zu können, braucht es Voraussetzungen, es braucht Reflexions-und Ironiefähigkeit und Abstand zum Thema. Das ist das Gegenteil von Schwarz-weiß Denken. Da ich jahrelang bei einem Frauen-Kirchen-Kabarett mitgespielt habe, weiß ich, wovon ich spreche. Wir waren oft sehr hart zu den Mächtigen in der Kirche und auch zu heilig gesprochenen Männern und Frauen, aber immer liebevoll kritisch zu den sogenannten kleinen Leuten. Ich bin noch immer der Meinung, dass wir mit diesem Kabarett Volksbildung gemacht haben, denn eine der größten Schwächen der Religionen, nicht nur des Islam, ist, dass man den Bereich des unkritisierbaren „Heiligen“ so weit ausgedehnt hat, dass darunter dann auch alles fällt, was an Gefährlichem, Dummem und die Menschen psychisch Belastendem im Namen von Religionen gesagt wird. Ja, über Religion, über religiöse Symbole und Leitfiguren darf und soll man lachen, das gilt für uns Christinnen und Christen genauso wie für andere Religionsgemeinschaften. Da haben uns unsere älteren Geschwister, die Juden einiges voraus. Aber genauso wie man Religionsführer kritisieren und sich über sie lustig machen darf, genauso muss man auch jene kritisieren dürfen, die sich in primitiver Form über diese erheben, wie es die Karikaturen des schwer getroffenen Charlie Hebdo leider manchmal tun.
1. bis 6. November
Allerheiligen – in vielen Ländern sind sogar die Friedhöfe gesperrt – wer soll da wen anstecken? In Wien sind alle Gänse ausverkauft, weil das traditionsreiche Ganslessen wegen des drohenden Lockdown vorverlegt wird. Ich habe noch eine sündteure Mostviertler Weidegans ergattert und mit unterschiedlichstem Zubehör meinen in fünf Etappen bei uns einkehrenden Kindern, Enkelkindern und Urenkeln serviert.
Jetzt gibt es also ab 3. November eine Ausgangssperre ab 20 Uhr, das bedeutet, kein schnelles Vorbeischauen unserer Kinder nach Arbeitsschluss – nur mehr höchstens Mittags-Wochenend-Besuche mit vorherigem Schnelltest.
Allerseelen – bei uns ist gerade das letzte Festessen im Gange, als die Nachricht einer Schießerei in der Seitenstettengasse das Fernsehprogramm unterbricht. Jetzt hat es auch die „Insel der Seligen“ erwischt. Ein Terrorattentat am wunderschönen letzten Abend vor dem Lockdown. Die Straßen und Lokale der Innenstadt voll mit Menschen, die noch einmal draußen und zusammen Sein wollten. Menschen, die zufällig den Weg des Amokläufers kreuzten wurden erschossen oder schwer verletzt. Ein riesiges Polizeiaufgebot, Rettung, Feuerwehr, die Innenstadt voll mit blau blinkenden Einsatzfahrzeugen. Die ganze Nacht wird noch nach Komplizen gefahndet, aber es bleibt bei dem einen Amok laufenden Täter. All jene, die noch den letzten Abend vor dem Lockdown genießen wollten, sind eingekesselt in der City. Dabei zeigt sich das Format und die Zivilcourage ganz unterschiedlicher Menschen.
Türkische Männer mit einem Naheverhältnis zu den Grauen Wölfen retteten einem verletzten Polizisten das Leben. Der syrische Portier des Hotels Wandl, ein Flüchtling, für den das, was er sah ein deja vu Erlebnis war, öffnete seine Tore für hilflos herumirrende Menschen, bewirtete sie auf Geheiß seines Chefs und ließ sie im Haus übernachten. Martin Grubinger hörte im Konzerthaus nicht auf zu musizieren, um die Menschen zu beruhigen. Dennoch, der Albtraum, der uns heimsuchte, wird unser Leben ähnlich verändern wie die Corona-Epidemie.
Die Frage „Wer und was treibt jugendliche Männer dazu, ziellos, brutal und überlegt zu morden?“ müssen wir uns stellen. Soviel man weiß, war es in diesem Fall der Sohn einer unauffälligen südeuropäischen Migrantenfamilie, Schüler der HTL Mödling, der ins radikal islamistische Milieu abdriftete. Welche Verletzungen müssen da von verbrecherischen Akteuren ausgenützt worden sein? Wie geschieht diese Gehirnwäsche, durch wen und wo? Und zuletzt auch die Frage, wie unachtsam ist unsere Gesellschaft?
Aus meiner theologischen Schmalspurbildung habe ich einige Dinge mitgenommen, die mir in solchen Situationen hilfreich sind. Eine davon ist: Es gibt nicht „das Böse“ auf gleicher Ebene mit „dem Guten“. Das Böse ist immer ein Mangel an Gutem. Welchen Mangel müssen wir also beheben, um dem Bösen keinen Raum zu geben? Ich bin allerdings nicht so blauäugig zu glauben, dass man nicht massiv dort hineinschauen muss, was in manchen Moscheen gelehrt wird und wer die Autoritäten dort sind.
Für den Koran gilt wie für die Bibel – wenn man ihn ernst nehmen will, darf man ihn nicht wörtlich nehmen. Wörtlich genommene religiöse Schriften verführen dazu, die Gedankenwelt ihrer Entstehungszeit mitzutransportieren und damit auch die Legitimierung gewaltsamer Konfliktaustragung. Religiöse Führer, die die Weltherrschaft anstreben und zur Vernichtung ihrer Gegner aufrufen, haben in keiner Religionsgemeinschaft etwas verloren. Ich denke, die muslimische Gemeinschaft muss selbst ein Interesse daran haben, dass terroristische Organisationen keinen Unterschlupf bei ihnen finden. Es ist noch nicht so lange her, als es auch bei uns das „Gottesgnadentum“ der politischen Führer gab. Das haben wir hinter uns. Es wird Zeit, dass der Anspruch auf die Verbindung von religiöser und politischer Macht auch im Islam ein Ende findet.
Unsere Politiker haben sich wohltuend staatstragend gegeben. Dennoch konnte es Kurz nicht unterlassen, kleingeistig die Schuld der Justizministerin zuzuschieben und die frühzeitige Entlassung des Täters aus dem Gefängnis als Ursache der Terrornacht zu bezeichnen, was ja vollkommener Unsinn ist, da auch nach Absitzen der gesamten Strafe, der Attentäter schon längst wieder in Freiheit gewesen wäre. Erst die Versäumnisse im Innenministerium haben dazu geführt, dass dann auch der türkise Teil der Regierung „keine Schuldzuweisungen“ eingefordert hat. Ganz anders da die Justizministerin. Trotz bohrender Nachfragen der Interviewerin war ihr keine einzige Beschuldigung zu entlocken, nur die Feststellung, dass man in Zukunft besser zusammenarbeiten müsse.
Durch diese furchtbare Terrorerfahrung ist fast untergegangen, dass die USA ihren Präsidenten wählen. Wieder einmal haben sich die Demoskopen geirrt und es ist noch immer nicht sicher, wer gewonnen hat. Trump erklärt sich zum Sieger und es wird sich weisen, wie weit er seine Anhänger aufhetzen wird, wenn doch Biden knapp die Oberhand behält.
7. – 9. November
Noch immer wird in den USA ausgezählt – es wird knapp. Trump verhält sich so, wie es von ihm zu erwarten war, er erklärt sich zum Sieger und verlangt die Einstellung weiterer Stimmenauszählungen. Erschreckend war für mich das Interview mit einem republikanischen Wähler. Auf die Frage, ob es zu einem Bürgerkrieg kommen könne, meinte dieser: Ja, vielleicht, aber der wird kurz, denn wir haben die Waffen und die Demokraten nicht. Es macht Angst, zu sehen, wie so jemand wie Trump es schaffen konnte, die Hälfte der Bevölkerung der USA zu seinen Gefolgsleuten zu machen. Am meisten ekelt mich aber vor den Eliten der Republikaner, die nur darauf schauen, was gut für ihr Vermögen und die Börse ist und die bereit sind, Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt dem Tanz ums goldene Kalb zu opfern.
Ich denke, dass die Wiener Polizei am Abend des Attentats bewiesen hat, wie sie uns unter Einsatz ihres Lebens schützen will und kann, dennoch hat mich ein Foto erschreckt, das Bundeskanzler Kurz und Innenminister Nehammer mit den beiden Wega-Polizisten zeigt, die den Attentäter getötet haben. Sie waren zur Bedankung ins Bundeskanzleramt geladen und posierten vermummt, in martialischer Pose und voller Montur flankiert von den beiden Politikern. Es gab sicher nur die Möglichkeit, den Attentäter zu töten, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, aber diese beiden Männer dermaßen militaristisch in Szene zu setzen und wie es im Bundeskanzleramt üblich ist, daraus eine Foto-Botschaft der Kampfkraft zu veröffentlichen, das musste nicht sein.
Ich beobachte sowieso, dass der Polizeipräsident und höhere Beamte des Innenressorts jetzt ständig in dieser seltsamen Operettenuniform mit goldverziertem Stehkragen in den Medien auftreten. Es gab doch Zeiten, wo diese Herren ganz einfach Zivil trugen – was soll das? Ganz abgesehen davon, dass diese Festtags-Uniform vor Jahren von einem etwas schrulligen Polizeifunktionär entworfen wurde, der sichtlich einem rückschrittlichen „Zauber der Montur“ erlegen war, sehne ich mich nach den zivilen Zeiten, als unsere Polizei noch in einer einfachen Uniform aufgetreten ist. Wir Wienerinnen und Wiener sind unseren Polizisten und Polizistinnen für ihr beherztes und überlegtes Wirken an diesem grauenhaften Allerseelen-Abend sehr dankbar, aber ohne dieses militaristische Klimbim wäre es noch viel beeindruckender.
Joe Biden hat jetzt also doch gewonnen, aber es werden noch spannende Zeiten bis zur Angelobung.
9. November – Erinnerung an die Progromnacht 1938 und den „Mauerdurchbruch“ 1989. Anlässlich dieser Erinnerungstage erfüllt es mich mit großer Freude, dass eine Wolfganger Nachbarin, die das KZ überlebt hat, ihren 100. Geburtstag feiert – sie ist Beweis für das, was wir derzeit so dringend brauchen, nämlich die widerständige Behauptung: „Das Leben ist stärker“.
Traude Novy